05.09.2019

Die weiche Diplomatie in Korea

Freunde auf beiden Seiten der Mauer

L a d u s c h k i n – Ein Photo auf der Webseite des “Mennonite Central Committee” (MCC) vom Sommer 2018 zeigt einen mageren, asiatischen Herrn auf einem Traktor in Manitoba/Kanada. Der Traktorenlenker ist ausgerechnet Ri Yong Phil, Botschafter Nordkoreas (DVRK) bei den Vereinten Nationen. Sein Besuch und der gleichzeitige Besuch einer Delegation von Agrarwissenschaftlern in Kanada sind die Früchte mennonitischen Bemühens um eine „weiche Diplomatie“. (Pendant des MCC in Deutschland ist das in Ludwigshafen beheimatete „Mennonitische Hilfswerk“.) Das in Pennsylvania und Manitoba angesiedelte MCC versichert auf seiner Webseite, sein hervorragendes Ziel sei „der Aufbau gegenseitigen Vertrauens“. Dialog und der Aufbau freundschaftlicher Beziehungen werden als realistische Zielsetzungen angesehen. Ultimative Forderungen nach dem Einhalten geostrategischer Vorgaben – siehe z.B. die von Donald Trump befürwortete „CVID“ (Complete, Verifiable and Irreversible Denuclearization) werden als wenig hilfreich eingestuft, wenn die USA auf die Gegenseitigkeit der Maßnahmen verzichtet.

Seit September 2017 halten Sanktionen der USA die eigenen Bürger davon ab, die DVRK zu besuchen. Doch im März laufenden Jahres wurde dem MCC eine Ausnahme genehmigt. Folglich bleibt es ihm möglich, drei- bis viermal jährlich das Land zu humanitären und medizinischen Zwecken zu bereisen. Südkoreanern bleibt es verwehrt, den Norden zu besuchen.

Diese Reisesanktionen wurden nach dem Tode des US-amerikanischen Studenten Otto Warmbier im Juni 2017 verhängt. Kenner in Südkorea vertreten die Auffassung, Warmbier sei gescheitert beim Versuch, sich in der nordkoreanischen Haft umzubringen. Deshalb mußte er als Hirntoter den US-Behörden übergeben werden. Doug Bock Clarks seriöser, ausführlicher Bericht über den Vorfall (siehe Seite 15 in “www.gq.com/story/otto-warmbier-north-korea-american-hostage-true-story”) beschreibt die Option eines versuchten Selbstmordes als durchaus denkbar.

Das MCC hat sich erstmals in Korea während des Korea-Krieges (1951) engagiert. Von nur begrenzter Größe, verabschiedete es sich 1971 von Südkorea, um sich besser den Herausforderungen in Vietnam stellen zu können. Die humanitäre Hilfe für Nordkorea wurde 1995 aufgenommen. Die nordostasiatische Zentrale des MCC wurde 2014 von China nach Namchuncheon/Südkorea verlegt.

Trotz der gegenwärtigen Sanktionen bleibt das Engagement der westlichen Kirchen in der DVRK breiter als allgemein angenommen. Dank seiner Größe ist das Hilfswerk „World Vision“ wohl am stärksten an der humanitären Arbeit im Norden beteiligt. Weitere Akteure sind die in Black Mountain/Bundesstaat Nordkarolina beheimateten „Christian Friends of Korea”, die über medizinische Projekt an fast 30 Standorten im Norden verfügen. Die “Eugene Bell Foundation” aus Andrews im Bundesstaat Südkarolina unterstützt 12 auf Tuberkulose spezialisierte Kliniken. Nach „Wikipedia“ hat ihr Gründer, Stephen Linton, die DVRK seit 1979 mehr als 80 mal besucht. Er begleitete den Evangelisten Billy Graham bei seinen Besuchen in Pjöngjang in den Jahren 1992 und 1994. Gegenwärtig mit landwirtschaftlichen Programmen befaßt, ist das “American Friends Service Committee” der Quäker seit 1953 in Korea tätig.

Zu den säkularen Organisationen, die sich im Norden engagieren, gehören die „Konrad-Adenauer-Stiftung“ und die „Friedrich-Naumann-Stiftung“. Die CSU-nahe „Hanns-Seidel- Stiftung“ bemüht sich sogar um den Schutz einer bedrohten Vogelart.

Nicht an letzter Stelle gibt es die von Evangelikalen gegründete und finanzierte „Universität für Wissenschaft und Technik Pjöngjang“ (PUST). Bei dieser Einrichtung handelt es sich um ein Joint-Venture zwischen der DVRK und einem Konsortium nordamerikanischer und südkoreanischer Organisationen. Geleitet wird es von dem koreanischen Amerikaner Chin-Kyung „James“ Kim. Diese Universität nahm 2010 den Betrieb auf und hat meistens 250 bis 500 männliche Studenten pro Jahr. Eine Schwesteruniversität, die “Universität für Wissenschaft und Technik Yanbian“, wurde 1992 nebenan im Norden Chinas gegründet und verfügt über bis zu 2.000 Studenten. Obwohl das Missionieren untersagt ist, bemüht sich die PUST keineswegs, ihre evangelikale Herkunft zu verschweigen. Jedes Semester verfügt sie über 25 bis 30 unbesoldete Dozenten aus Nordamerika. Doch aufgrund der gegenwärtigen US-Sanktionen kann sie ihren personellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen und kann nur mit halber Kraft weitermachen. (Siehe “Der Spiegel” vom 5. Sept.. 2017. Die Webseite lautet die Anschrift: “www.pust.kr”.)

Ein politisches Unwetter entfachte sich, nachdem eine verdeckte, nicht-evangelikale, koreanisch-amerikanische Journalistin, Suki Kim, 2011 ein halbes Jahr als Englischdozentin an der Einrichtung verbracht hatte. Das Buch, das sich daraus ergab, hieß “Without You There is No Us” (Ohne dich gibt es uns nicht) und schaffte es auf die Liste der “New York Times”-Bestseller. Es folgten ein „TED“-Vortrag sowie mehrere Auszeichnungen. Die Kritiker der Journalistin hielten ihr ein vereinfachtes Schwarz-Weiß-Denken vor und meinten, sie hätte ihre Mitmenschen dem eigenen Karrierestreben geopfert. Ein Beispiel für die Ungenauigkeit des Buches: Die Verfasserin versichert, nur äußerst wenige Nordkoreaner würden ins Ausland reisen dürfen. Doch einfache Arbeitskräfte, die nach Rußland – und sogar bis Polen – „exportiert“ werden, haben in den letzten Jahrzehnten nicht unerheblich zum Auslandseinkommen des Landes beigetragen. (Eine ähnliche Praxis betreibt Kuba mit seinen Ärzten.) Sogar Rußland ist seit 2017 dabei, wegen der von den USA und der UNO verhängten Sanktionen diese Kräfte nach Hause zu schicken.

Das kirchliche Leben seit 1988
Im Vorfeld der “13. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ vom Juli 1989 vollzog die DVRK einen Kurswechsel und genehmigte ein kontrolliertes, offizielles Gemeindeleben in Pjöngjang. Die Bongsu-Kirche wurde 1988 gegründet und besitzt heute ein Gebäude mit Sitzplätzen für 1.200 Personen. Billy Graham predigte in dieser Kirche zweimal; sein Sohn Franklin tat es ihm in den Jahren 2000 und 2002 nach.

Die kleinere Chigol-Kirche, im selben Jahr neu gegründet, ist dem Gedenken von Kang Pan-sok (1892-1932), der Mutter des Staatsgründers Kim Il-sung (1912-94), gewidmet. Sie gilt als die Mutter der Nation. Wenig bekannt im Lande ist die Tatsache, daß Kim Il-sung in seiner Autobiografie einräumt, daß seine Eltern aktive Presbyterianer waren. Als Kleinkind besuchte er diese Gemeinde. (Mit seinen Eltern floh er 1919 aus dem japanisch-besetzten Korea ins benachbarte China.)

Der Wiederaufbau dieser beiden Kirchen ist der starken Unterstützung aus Südkorea und den USA zu verdanken. Ein westlicher Besucher beschreibt das Singen der Gemeinde in Bongsu als exzellent, obwohl wenig direkter Kontakt mit den Einheimischen möglich ist. Beim Abschied wird – wie etwa bei der Jahreskonferenz der Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg – das Lied Gott mit euch, bis wir uns wiedersehn!” angestimmt. Einmalig für das Land ist die Praxis, beim Betreten der Kirche das allgegenwärtige Kim Il-sung-Abzeichen abzulegen.

Nach „Wikipedia“ habe es stets eine geringe Präsenz von Christen im nordkoreanischen Staat gegeben. Ein presbyterianischer Geistlicher, Kang Yang Wook, diente als ein Vize-Präsident von 1972 bis 1982. Kim Chang Jun, ein Methodist, war Vize-Vorsitzender der Obersten Volksversammlung. Beide sind offensichtlich mit hohen staatlichen Ehrungen zu Grabe getragen worden. Ein weiterer Presbyterianer, Kang Ryang-uk (1902-1983), war Vorsitzender der “Koreanischen Christlichen Versammlung”. Seine Mutter war eine Cousine der Mutter von Kim-il Sung. Wikipedia gibt an, der Staat hätte in den 60er Jahren bis zu 200 christliche Gemeinden „geduldet“. Ein kleines Theologieseminar ist weiterhin aktiv.

Die katholische Changchung-Kathedrale wurde ebenfalls 1988 wiedereröffnet.

Die Orthodoxen sind als letzte erschienen. Bei seinem Besuch der neuen Kathedrale zu Chabarowsk im August 2002 wurde der Staatsvorsitzende Kim Jong-il (1941-2011) von einem russischen Diplomaten gefragt, ob sein Land über orthodoxe Gläubige verfüge. Kim erwiderte, daß er welche ausfindig machen würde. Folglich nahmen im April 2003 vier frisch-getaufte orthodoxe Studenten das Studium in einem Moskauer Seminar auf. Schon damals wurde berichtet, daß alle Vier für den nordkoreanischen Sicherheitsdienst gearbeitet hatten. Einer von ihnen, Feodor Kim (Kim Hoe-il), räumte ein, daß es ihnen schwerfalle, im orthodoxen Glauben heimisch zu werden. Vier weitere Studenten kamen im August 2016 in ein Seminar nach Chabarowsk.

Der Grundstein für den ersten orthodoxen Kirchenbau Pjöngjangs, die „Kirche der lebensspendenden Dreieinigkeit“, wurde 2003 gelegt. Metropolit Kirill, heute Patriarch der Russischen Orthodoxie, amtierte bei der Einweihung am 13. August 2006.

Das Gemeindeleben in dieser Kirche könnte lebendiger sein als irgendwo sonst in der Hauptstadt. Dem Vernehmen nach erfreut sich die Gemeinde starker Unterstützung durch die russischen Diplomaten und Geschäftsleute am Ort. (Siehe hierzu die Facebook-Seite der Russischen Botschaft in der DVRK.) Die Gemeinde verfügt sogar über einen Erzbischof: Theophanes (Kim) ist ein Russe koreanischer Abstammung, geboren 1976 auf Sachalin. Er wurde im Dezember 2017 eingeführt als Erzbischof für die beiden koreanischen Staaten. Zum Teil dank der orthodoxen Spaltung zwischen Moskau und Konstantinopel, hat der neue Erzbischof nur begrenzten Zugang zu den Gläubigen in Südkorea. 

Die Politik – ein kurzer Kommentar
Das Mennonite Central Committee unterstützt die Resolution 152 des US-amerikanischen Repräsentantenhauses. Sie ruft zur formellen Beendigung des Bürgerkrieges von 1950 bis 1953 auf. Darin erkennt es „einen bedeutenden, ersten Schritt auf dem Wege zur Sicherung einer nuklearen Vereinbarung“. Obwohl diese karitative Einrichtung nicht als politischer Mitstreiter Nordkoreas eingestuft werden kann, besteht sie darauf, daß weiche Diplomatie und zwischenmenschliche Beziehungen möglich sind.

Rick Cober Bauman, ein leitender Vertreter des kanadischen Zweigs von MCC, versichert, daß alle menschlich-geschaffenen Mauern irgendwann einstürzen werden. Er sagt: „Die Mauer, die Nord- und Südkorea voneinander trennt, wird unweigerlich fallen. Und wenn es soweit ist, will das MCC über Freunde auf beiden Seiten verfügen.“ Dafür hat es bei den Mennoniten bereits den Präzedenzfall gegeben: Als Nordvietnam im April 1975 den Süden endlich besiegte, gab es vier Freiwillige des MCC, die auf ihren Posten blieben. Es handelte sich dabei um drei US-Amerikaner und einen Japaner. Das war ein einsames, jedoch höchst unerläßliches christliches Zeugnis.

Schauen Sie sich einen bewegenden Film der Eugene-Bell-Stiftung an: “www.abc.net.au/foreign/out-of-breath/10825830”. Er ist ein beeindruckender Beleg dafür, daß die Sorge um das Wohlbefinden anderer erhebliche politische Hürden überwinden kann. Westliche Staatsbürger setzen sich einer Ansteckungsgefahr aus, in dem sie sich um die Heilung ernsthafterkrankter, nordkoreanischer Tuberkulosepatienten bemühen.

Dr. phil. William Yoder
Laduschkin, Gebiet Kaliningrad/Rußland

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