17.01.2005

Gebetswoche – viermal ganz anders

Besondere Veranstaltungen in Erlangen, Neuruppin, St. Gallen und Bonn besucht.

Gebetswoche – viermal ganz anders

Besondere Veranstaltungen in Erlangen, Neuruppin, St. Gallen und Bonn besucht.

 

Allianzgebet: Beim Großunternehmen, im fahrenden Zug, vor dem Hauptbahnhof und einer Uni

(idea) Die Allianzgebetswoche am Beginn eines jeden Jahres ist die älteste und größte Gebetsinitiative, die Christen aus evangelischen Landes- und Freikirchen im deutschsprachigen Europa an 1.500 Orten vereint. Immer mehr örtliche Allianzen suchen neben den traditionellen Gebetsversammlungen in Gemeinderäumen auch ungewöhnliche Orte zum Gebet auf. idea-Mitarbeiter haben vier besondere Veranstaltungen in Erlangen, Neuruppin, St. Gallen und Bonn besucht.

Franken: Gotteslob bei Siemens

Erlangen ist mit rund 103.000 Einwohnern eine der kleinsten Großstädte Deutschlands, gehört aber mit Nürnberg und Fürth zu den Regionen in Deutschland mit der größten Wirtschaftskraft. Mit 690 Arbeitnehmern auf 1.000 Einwohner hat Erlangen die zweithöchste Arbeitsplatzdichte in Bayern. Allein Siemens beschäftigt im „High-Tech-Zentrum Nordbayerns“ – wie sich die Stadt selbst nennt – 21.000 Mitarbeiter. Mit über 12.000 Beschäftigten ist die Universität Erlangen-Nürnberg – einschließlich ihres Klinikums – der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt. Während der diesjährigen Gebetswoche der Evangelischen Allianz brachten die örtlichen Christen Gott ihre Dankbarkeit für die positive Wirtschaftslage in ihrer Stadt zum Ausdruck. Sie hielten ihre Gebetstreffen erstmals nicht nur hinter Kirchenmauern ab, sondern machten sich auf zu den Orten, wo die Bürger leben und arbeiten: zu einem Jugendzentrum, zu Siemens, zur Universität, zum Rathaus und zu einer Klinik, um auch Kranke einzubeziehen. An einem Abend trafen sich rund 70 Christen aus zwölf landes- und freikirchlichen Gemeinden im Siemens-Forum, dem Begegnungs- und Kulturzentrum des Unternehmens. Etwa ein Drittel der Besucher sind Siemens-Mitarbeiter. Die meisten von ihnen versammeln sich auch sonst vor der Arbeit und in der Mittagspause wöchentlich in fünf Gruppen zum Gebet. „Das Siemens-Forum steht heute abend stellvertretend für die Welt der Arbeit“, sagt der Pastor der Freien evangelischen Gemeinde, Michael Schalles, zum Auftakt.

Gott ist der wahre „Global Player“

Die Besucher danken Gott für die niedrige Arbeitslosenquote (6,5%) in ihrer Stadt und bitten ihn um Weisheit für die Verantwortlichen in der Wirtschaft. Sie beten auch dafür, daß noch mehr Menschen ihr tägliches Brot durch einen Arbeitsplatz selbst verdienen können. Ein Beter stellt klar, daß Gott als der Herr der Welt der wahre „Global Player“ ist. Ein anderer bittet darum, daß im Wirtschaftsleben Aktienkurse nicht als wichtiger angesehen werden als Menschen und Arbeitsplätze. Die Veranstalter sind dankbar, daß Siemens seine Räume bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. Das ist nicht überall der Fall. So mußten sich die Beter vor den Türen der Universität treffen. Sie erlaubt zwar Vorträge zu religiösen Themen in ihren Räumen, aber keine Gebete und Gottesdienste. Deshalb versammelten sich die Christen in der Uni-Kirche und gingen von dort zur Uni-Verwaltung, um draußen für Studenten, Wissenschaftler, Bildungsreformen und die missionarische Arbeit an Hochschulen zu beten. Peter Aschoff vom Leitungsteam der Elia-Gemeinde hält das Experiment für gelungen: „Das Gebet an wichtigen Orten des öffentlichen Lebens hat dazu geführt, daß die Besucher konkreter für die Menschen in unserer Stadt gebetet haben.“ Aus seiner Sicht hat die von der jüngeren Generation angestoßene Aktion frischen Wind in die Gebetswoche gebracht. Christian Starke

Brandenburg: Wenn ein Priester eine evangelikale Gebetswoche eröffnet

Das brandenburgische Neuruppin ist nicht gerade ein Zentrum der Christenheit. In der 32.000 Einwohner zählenden Stadt, in der der preußische König Friedrich der Große seine ersten Jahre als Kronprinz verbrachte und der Schriftsteller Theodor Fontane geboren wurde, gehören etwa 5.000 Bürger einer Kirchengemeinde an – also etwa 15 Prozent. 4.000 davon sind Gemeindeglieder der berlin-brandenburgischen Landeskirche und 56 Baptisten. Sie waren am Montag Gastgeber, als in Neuruppin die Allianzgebetswoche eröffnet wurde. 53 Christen kamen in den Gemeindesaal. Es gab ein kleines Anspiel, Lieder wurden gesungen, und es wurde gebetet für Ehen, Familien und die Einheit der Christen. Doch etwas ist anders als in vielen sonstigen Allianzgruppen: In Neuruppin nehmen auch Katholiken an der Gebetswoche teil - und ihr Priester, Bernhard Illmann, predigte sogar am ersten Abend im baptistischen Gemeindesaal.

Katholiken schon „seit Menschengedenken“ dabei

Das Vaterunser, bekanntlich Thema der diesjährigen Gebetswoche, sei „das Grundgebet der Christen aller Schattierungen�, betonte Illmann. Jesus stelle Gott damit als liebevollen Vater dar, als „Hausvater, dem es aufgetragen war, den Lebensraum der Familie zu schützen und zu verteidigen�. Und dann zitiert der katholische Priester aus der Klosterregel der Benediktiner: Der Abt solle, ganz wie ein guter Vater, mehr helfen als herrschen: „Er hasse die Fehler, er liebe aber die Brüder�. Wie es dazu kommt, daß in Neuruppin auch die Katholiken an der Gebetswoche teilnehmen? Diese Frage konnte keiner der Teilnehmer des Gebetsabends beantworten. „Es ist eben so, seit Menschengedenken�, sagt Illmann. Als der heute dienstälteste Geistliche der Stadt 1989 nach Neuruppin kam, nahm seine Gemeinde bereits an der Gebetswoche teil. Die seit einem Jahr in Neuruppin tätige baptistische Pastorin Sigrun Witzemann vermutet, daß es mit der Situation in der DDR zusammenhängt, wo die Christen besser als heute zusammenarbeiteten, um dem Druck von Außen standzuhalten. Ihr gefällt es, mit allen übrigen Geistlichen ohne Berührungsängste offen und ehrlich zusammenarbeiten zu können. „Wir akzeptieren uns hier so, wie wir sind - mit allen theologischen Eigenheiten�, sagt Sigrun Witzemann. Mehrmals im Jahr treffen sich Methodisten, Baptisten, Landeskirchler, Gemeinschaftsleute, Adventisten, Altlutheraner und Katholiken bei ökumenischen Gottesdiensten zum gemeinsamen Beten. Weil sich eine Caritas-Station in einem Gebiet, wo 1.800 katholische Christen über einen ganzen Landkreis verteilt leben, nicht rechnen würde, ist die katholische Gemeinde sogar Mitglied im (evangelischen) Diakonischen Werk geworden. Benjamin Lassiwe

Rheinland: Ein Mahngebet im „Bonner Loch“

Samstag vormittag, 11 Uhr, vor dem Bonner Hauptbahnhof bei eisiger Kälte. Direkt nebenan befindet sich das „Bonner Loch“, ein tiefgelegener Platz, Treffpunkt für allerhand buntes Volk: Drogensüchtige, Obdachlose, Gestrandete. Nicht unbedingt Ort und Zeitpunkt, die man mit der Allianzgebetswoche in Verbindung bringen würde. Doch für die örtliche Evangelische Allianz ist dies inzwischen ein fester Termin. Schon zum vierten Mal hat sie an diesem Ort zum Mahn- und Fürbittegottesdienst gegen Abtreibungen, besonders Spätabtreibungen, geladen. Etwa 30 Christen sind gekommen. Der Leiter des Gottesdienstes, Hermann Krause, findet in seiner Begrüßung deutliche Worte zu dem Anliegen: „Wir möchten die Hand erheben gegen etwas, das man nur als Mord bezeichnen kann.“ Er erzählt die Geschichte eines Paares, das die Ärzte immer wieder zu einer Abtreibung gedrängt hatten, weil die Frau bei einer Operation während der Schwangerschaft mit Medikamenten behandelt wurde, die bei dem Kind schwere Mißbildungen hervorrufen können. Doch für das Paar kommt eine Abtreibung nicht in Frage. Schließlich bringt die Frau ein kerngesundes Kind zur Welt. Für Krause ein eindrucksvolles Beispiel, wie fahrlässig mit dem Leben ungeborener Kinder umgegangen wird.

Jede Woche eine Mahnwache vor der Uniklinik

Prinzipiell bestehe für Christen kein Zweifel an dem Lebensrecht jeden Kindes, auch wenn es behindert sei, ergänzt Birte Grimm von den „Bonner Christen für das Leben“ (BCL). Sie führt mit ihrer Gruppe seit fast einem Jahr jede Woche eine einstündige Mahnwache vor der Bonner Uniklinik durch, in der auch Spätabtreibungen vorgenommen werden.
Während der Passantenstrom vorbeizieht, betet die Runde laut für den Lebensschutz. Ein Arzt bleibt stehen und regt sich über die Kritik an den Abtreibungen auf. Das sei doch völlig übertrieben. Als ein Obdachloser in die Runde tritt, wird er mit Handschlag begrüßt. Man kennt sich, denn die Allianz veranstaltet jeden Donnerstag im „Bonner Loch“ einen Gottesdienst und verteilt anschließend ein warmes Essen. Sind die Initiatoren nicht enttäuscht, daß nur relativ wenige Christen zu dem Mahngebet gekommen sind, nicht einmal jeder 20. der 850 Teilnehmer beim Eröffnungsgottesdienst der Allianzgebetswoche? „Nein“, sagt Karola Conrads-Butenhof, Pressesprecherin der Allianz, „wir müssen diese Form des öffentlichen Gebets noch viel mehr einüben und raus auf die Plätze und Straßen dieser Stadt gehen.“ Scheu vor öffentlichen Bekenntnissen hat man bei der Bonner Allianz nicht. Die Bürger der ehemaligen Bundeshauptstadt werden noch öfters Gelegenheit haben, betende Christen sehen zu können. Eckhard Nickig

Eine besondere Idee in der Schweiz: Beten im fahrenden Zug

Einen besonderen Einfall zur Allianzgebetswoche hatte dieses Jahr die Evangelische Allianz im schweizerischen Toggenburg. Die sechs Freikirchen des in der Nähe von St. Gallen gelegenen Tales beteten – als Volk von Bahnfahrenden mit dem dichtesten öffentlichen Verkehrsnetz der Welt echt schweizerisch – im fahrenden Zug. Am Samstag abend stiegen die ersten drei Christen im Bahnhof Nesslau zuoberst im Tal in den fahrplanmäßigen Regionalzug ein, der bis zur Stadt Wil unten im Tal Halt an allen zehn Stationen macht. Von Wil gings zurück wieder das halbe Tal hinauf bis Wattwil, wo die Reise mit einer Lobpreiszeit in einer nahegelegenen Kapelle ihren Abschluß fand. „Beten im Zug“, wie sich diese Aktion nannte, bildete einen von vier Anlässen dieser ländlichen Allianz. In jedem Dorf hatten Allianzchristen die Gelegenheit zuzusteigen. In Wattwil war das Zugabteil mit etwa 30 Personen besetzt. „Es brauchte etwas Mut, im öffentlichen Verkehrsmittel zu beten“, sagte der Toggenburger Allianzvorsitzende Walter Staub. Allerdings war die Gruppe der Betenden bald allein. Ein Ehepaar habe, nachdem man ihm erklärt habe, was da geschehe, bei der nächsten Station in ein anderes Abteil gewechselt. Der Pastor einer Chrischona-Gemeinde hatte etwa 20 bis 50 Teilnehmende erwartet und zeigte sich zufrieden. In den Vierercoup�s der Waggons wurde für die an den Zugfenstern vorbeiziehenden Dörfer gebetet. Die Schweizerischen Bundesbahnen hätten auf Anfrage keine Bedenken am Vorhaben der Allianz gezeigt, so lange die frommen Fahrgäste mit gültigen Bahnbilletten unterwegs seien.

Beten im Inter-Netz

„Beten im Zug“ war nicht die einzige außergewöhnliche Aktion, die sich die evangelischen Christen im katholisch geprägten Toggenburg einfallen ließen. Am Montag der Allianzgebetswoche hatte man mit „Beten im Netz“ begonnen. Unter der von Jugendlichen der Region gestalteten Homepage www.freeatlast.ch, die in einem Zeitungsartikel publiziert worden war, konnte sich jeder einloggen und sich in einer Art Chat am Gebet beteiligen.
Besondere Ideen an den einen oder anderen der etwa 200 Orte in der Schweiz, an denen die Allianzgebetswoche durchgeführt worden ist, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß an den meisten Orten traditionell gebetet wurde: Gemeinsame Gottesdienste der Kirchen am Ort, Gebetstreffen unter den Woche, Frühgebetszeiten, Pastorentreffen, Kanzeltausch und Jugendgebetsveranstaltungen waren die Regel. Die Beteiligung war nach ersten Einschätzungen der Geschäftsstelle in Zürich im Rahmen der Vorjahre. Fritz Herrli