13.01.2002

Leben ist kein Schaden mehr: Frankreich regelt Gesetz neu

Paris (ALfA). Ein in Frankreich behindert geborenes Kind kann kuenftig gegenueber dem Schwangerschaftsarzt seiner Mutter keinen Schadensersatz mehr erheben. Das meldet der "Tagesspiegel" (Ausgabe vom 11.01.). Die Neuregelung setzt die seit ueber zwei Jahren gueltige Regelung ausser Kraft, nach der behindert zur Welt gekommene Kinder und deren Eltern vor Gericht ziehen und hohe Summen von Aerzten und Krankenhaeusern einklagen konnten, wenn Schaedigungen des Neugeborenen waehrend der Schwangerschaft nicht entdeckt worden waren.

Das oberste franzoesische Berufungsgericht hatte im November 2000 entschieden, dass ein geistig und koerperlich Behinderter Schadensersatz dafuer verlangen kann, dass er lebt. Vor kurzem wurde der Fall des behinderten Nicolas Perruche bekannt, dessen Eltern erfolgreich auf Schadensersatz fuer den "moralischen und materiellen Schaden" geklagt hatten, der ihnen entstanden sei, weil der Arzt nicht erkannt hatte, dass die Mutter waehrend der Schwangerschaft an Roeteln erkrankt war. Die Richter sprachen dem heute 19jaehrigen Perruche eine lebenslange Rente zu.

Wie die Zeitung weiter berichtet, machte das Urteil Schule und avancierte spaetestens im November vergangenen Jahres zum Grundsatzurteil, nachdem das hoechste Zivilgericht Frankreichs, der Kassationsgerichtshof, erneut bestaetigt hatte, dass Aerzte im Fall von Fehldiagnosen bei der Geburt eines behinderten Kindes schadensersatzpflichtig seien. Das Hauptargument: Waere die Mutter informiert gewesen, haette sie die Moeglichkeit zur Abtreibung gehabt.

Seitdem seien die Proteste und Diskussionen in Frankreich nicht mehr abgerissen. In fast der Haelfte aller franzoesischen Gynaekologieabteilungen und gynaekologischen Praxen haetten sich die Aerzte seit November 2001 aus Protest gegen die hoechstrichterliche Entscheidung geweigert, Ultraschall-Untersuchungen durchzufuehren. Ihr Argument: Keine Untersuchungsmethode sei hundertprozentig sicher.

In den vergangenen zwei Jahren seien die Aerzte immer wieder mit hohen Summen zur Rechenschaft gezogen worden, in vielen Faellen wurden deutlich hoehere Versicherungspraemien verlangt, manche Versicherungen haetten sich vollstaendig geweigert, die praenatalen Ultraschall-Experten wegen des hohen Haftpflicht-Risikos ueberhaupt noch zu versichern. Um weiteren Millionenzahlungen vorzubeugen, haetten die Aerzte die Ultraschallbehandlung lieber gleich ganz eingestellt ein, berichtet das Blatt.

Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Ausgabe vom 09.01.) berichtet, seien die Aerzte von vielen Bevoelkerungsgruppen unterstuetzt worden. So habe etwa ein Komitee schwangerer Frauen kuerzlich eine Unterschriftenliste vorgelegt, mit der es die Vorstellung kritisierte wurde, eine praenatale Diagnostik habe eine hundertprozentige Gesundheitsgarantie des Kindes zu gewaehrleisten.

Wie der Tagesspiegel schreibt sei allerdings auch das neue Gesetz umstritten. Danach koenne zwar ein behindertes Kind nun selbst keinen Schadensersatz mehr verlangen, die Eltern blieben dazu jedoch in Ausnahmefaellen berechtigt. Aussicht auf Erfolg einer Klage haetten sie, wenn der Arzt bei seinen Untersuchungen einen "nachweisbaren" Fehler begannen habe.

So sehe das Gesetz vor, dass die Eltern behinderter Kinder kuenftig nicht nur dann Schadensersatz beantragen koennten, wenn der Gynaekologe durch einen fehlerhaften Eingriff die Behinderung selbst ausgeloest habe, sondern auch, wenn er eine deutlich erkennbare Anomalie, uebersehen habe.


(mehr dazu: www.tagesspiegel.de, www.faz.net)