28.05.2001

"Niederlaender wollt ihr ewig leben?"

Neue wissenschaftliche Arbeit belegt skandaloese Praxis der Euthanasie im Land der Tulpen

"Niederlaender wollt ihr ewig leben?"

Neue wissenschaftliche Arbeit belegt skandaloese Praxis der Euthanasie im Land der Tulpen

Berlin (ALfA). In den Niederlanden wird aus der "Toetung auf Verlagen" immer haeufiger und offenbar gezielt eine "Toetung ohne Verlangen". Dies ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie, die die in Berlin erscheinende Zeitung "Der Tagesspiegel" (Ausgabe vom 08. Mai 2001) rezensierte. Wie die Zeitung berichtete, spraechen dafuer "zahlreiche Aeusserungen und Fakten", die mit exakten Quellennachweisen fuer jeden einzelnen Fall von der Juristin Birgit Reuter zusammengetragen worden seien.

Demnach wurde die "Toetung ohne Verlangen" von niederlaendischen Aerzten nicht nur an Kranken vollzogen, die zu Willensaeusserungen nicht faehig waren, sondern auch an Entscheidungs-faehigen, die man gar nicht erst fragte. Fuer 1990 ermittelte eine staatliche Untersu-chungskommission 1040 Faelle von Toetung ohne Verlangen, davon 375 an Entscheidungsfaehigen ? und rechtfertigte sie, ebenso wie die befragten Mediziner dies taten.

Als ausschlaggebendes Motiv fuer die unverlangte Sterbehilfe gaben sie laut dem Untersuchungs-bericht keineswegs unertraegliche Leiden, sondern verschiedene andere Gruende an: keine Aussicht auf Besserung fuer den Patienten (60 Prozent); weitere medizinische Behandlung sinnlos (39 Prozent); der Tod sollte nicht unnoetig hinausgezoegert werden (33 Prozent); Angehoerige wurden nicht mehr damit fertig (32 Prozent); die Lebensqualitaet des Patienten war zu niedrig (31 Prozent). Schmerz und Leiden des Patienten gaben nur 30 Prozent der Aerzte als Grund fuer dessen Toetung an.

Aus dem Untersuchungsbericht zitiert Reuter laut "Tagesspiegel" auch Antworten der Aerzte auf die Frage, warum sie mit den entscheidungs-faehigen Patienten die Frage der Euthanasie nicht besprochen haetten, ehe sie sie toeteten. Die meisten sagten einfach, das sei "eindeutig das Beste fuer den Patienten" gewesen, oder: Eine Diskussion mit dem "emotional zu labilen" Kranken haette "mehr Schaden als Gutes bewirkt". Keiner dieser Aerzte wurde verurteilt. Und die Untersuchungskommission befand zwar, die ungefragte Toetung Einwilligungsfaehiger muesse kuenftig verhindert werden. Dagegen rechtfertigte sie die Toetung ohne Verlangen der nicht aeusserungsfaehigen Kranken.

Straflos blieben auch Aerzte, die Depressiven oder Magersuechtigen, in einem Fall sogar einer 15-jaehrigen, zum Selbstmord verhalfen. Das Praesidium der Aerztevereinigung KNMG bemerkte in einer Diskussionsschrift, sofern psychisch Kranke - deren Entscheidungsfaehigkeit erst einmal unterstellt wird - doch nicht mehr zu einer Entscheidung ueber die Frage der aktiven Sterbehilfe faehig seien, "muessen wir prinzipiell Entscheidungen fuer sie treffen" - um Schaden fuer den Patienten vorzubeugen und sein "Wohlsein" zu foerdern, heisst es zur Begruendung. Der Gerichtshof Den Haag sprach einen Arzt wegen rechtfertigenden Notstands frei. Er hatte einer chronisch depressiven Patientin, die "keinen Funken Lebenslust" mehr hatte, zum Suizid verholfen, trotz einer Persoenlichkeits-stoerung, die ihre Entscheidungsfaehigkeit einschraenkte. Zur Begruendung nannte der Gerichtshof das Risiko weiterer Selbstmord-versuche "auf eine ernsthaft selbstverwundene oder selbstverstuemmelnde, fuer Dritte schockierende Weise".

Auf Anregung ihres Doktorvaters, des Goettinger Arztrechtlers Hans-Ludwig Schreiber, untersuchte Reuter die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber auf die Regelung in dem europaeischen Nachbarland durch eine Aenderung des eigenen Strafrechts reagieren sollte, welches die Toetung auf Verlangen bislang ausnahmslos verbietet. Die Dissertation traegt den Titel "Die gesetzliche Regelung der aktiven aerztlichen Sterbehilfe des Koenigreichs der Niederlande - ein Modell fuer die Bundesrepublik Deutschland?" Sie erschien als Band 46 der Reihe "Recht und Medizin" bei Peter Lang, Europaeischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2001, 300 Seiten und kostet 96 DM.