17.06.2001

Prophetisch: Robert Leicht ueber das neue Embryonenschutzgesetz

In der Wochenzeitung "Die Zeit" (Ausgabe vom 13.06.) die erneut mit zahlreichen Hintergrundstuecken die aktuelle Debatte um die Stammzellenforschung bereichert, blickt Robert Leicht bereits schon einmal in die Zukunft. Seine Analyse "Das kuenftige Embryonenschutz-Gesetz - Resuemee nach der Bundestagsdebatte: Wer die Splitter der Ethikdiskussion zusammensetzt, erkennt darin die Biopolitik von morgen" dokumentieren wir an dieser Stelle ungekuerzt:

 


"Eine Begegnung mit Bundestagspraesident Wolfgang Thierse, kurz nach der Plenardebatte ueber die Bioethik am vorigen Donnerstag: "Sie werden mich doch jetzt nicht fragen wollen, ob das eine Sternstunde des Parlaments war!" Nein, Herr Praesident, das wollten wir nicht; und das war es auch nicht. Aber warum war die Debatte zwar ueberwiegend edel, gepraegt vom Respekt vor der anderen Meinung, jedoch spannungsarm? Der Mangel an Leidenschaft duerfte vor allem eine Ursache haben: Es ging um - nichts; zumindest nichts, worueber abzustimmen war.

Haette eine konkrete Aenderung des Embryonenschutz-Gesetzes zur Debatte gestanden, dann waere auch temperamentvoller gestritten worden. Dennoch waere es jetzt falsch zu glauben, diese Diskussion sei noch offen, irgendwann in der naechsten Legislaturperiode sei es immer noch Zeit, sich maechtig ins Zeug zu legen. Wer naemlich die Splitter der bisherigen Diskussionen geduldig zusammenfuegt, erhaelt ein ziemlich genaues Bild vom kuenftigen Embryonenschutz-Gesetz.

Im Zentrum der Analyse steht die Rede des Abgeordneten Gerhard Schroeder. Sie bekam zwar nur mageren Applaus fuer ihre einzelnen Aussagen, aber deren Summe zeichnet eine Linie vor: Das Embryonenschutz-Gesetz ist gut, wir wollen es nicht "vorschnell" aendern - also ziemlich bald. Wir wollen keine menschlichen Embryonen allein zum Zwecke der Forschung herstellen - wir haben ja bereits genuegend verwaiste Embryonen auf Lager. Und: Fuer eine begrenzte Zulassung der Praeimplantationsdiagnostik PID gibt es gewichtige Gruende.

Wie laesst sich nun aus dieser Kanzler-Rede eine Mehrheitslinie interpolieren, obwohl doch heftiger Widerstand von den Gruenen heraufzieht und allenfalls die FDP bedenkenlos zustimmt? Man muss sich dazu die Haltung der CDU naeher anschauen. Deren juengstes Papier zum Thema beschwoert zwar zunaechst die Unantastbarkeit menschlichen Lebens von Anfang an und lehnt die Gewinnung embryonaler menschlicher Stammzellen ab, "wenn die Embryonen dabei zerstoert oder so verletzt werden, dass ein Transfer in den Mutterleib zur Einleitung einer Schwangerschaft unvertretbar erscheint".

Offen bleibt jedoch das Schicksal jener Embryonen (oder Vorformen von Embryonen), die schon vorhanden sind, aber aus anderen Gruenden nie in einen Mutterleib gelangen werden. Immerhin besteht Wolfgang Schaeuble mit Verweis auf das hebraeische Mutterrecht darauf, Embryonen seien erst dann schuetzenswerte Traeger der Menschenwuerde, wenn sie eine leibliche Verbindung zur Mutter haben. Mit dem Hinweis auf das Denken im Judentum bereitet Schaeuble eine die Deutschen entlastende Unterscheidung vor zwischen der Herstellung von Embryonen eigens zur verbrauchenden Forschung und der verbrauchenden Nutzung von Embryonen, die ohnehin nie gebraucht werden.

Fuegt man nun noch die mehr oder weniger begrenzte Zulassung der PID hinzu, dann folgt daraus eine Regelung, fuer die sich aus FDP, CDU und SPD eine Mehrheit finden lassen muesste. Erstens: Zur Forschung werden keine Embryonen hergestellt - aber an ueberzaehligen Embryonen darf geforscht werden. Zweitens: Die PID wird in Faellen zugelassen, in denen auch die vorgeburtliche Diagnostik im Mutterleib statthaft ist und eine Abtreibung wegen schwerer Erbschaeden straffrei bleibt. (Parteiuebergreifend wird die Formel des Paragrafen 218 beschworen: Rechtswidrig, aber straffrei.) Und drittens: Weil bei zugelassener PID mehr Embryonen erzeugt als tatsaechlich in den Mutterleib eingesetzt werden, haben wir bald auch mehr ueberzaehlige Embryonen als je zuvor.

So koennte ein veraendertes Gesetz aussehen. Wenn es anders kommen sollte, muesste die naechste Debatte im Bundestag ganz anders und viel leidenschaftlicher verlaufen.

(mehr dazu: www.zeit.de)