10.06.2001

Unter Feuer: Kritik an Clements Vorstoss zur Stammzellenforschung nimmt zu

Duesseldorf (ALfA). Nordrhein-Westfalens Ministerpraesident Wolfgang Clement (SPD) sieht sich wegen seines Vorstosses zum Import embryonaler Stammzellen (ALfA-Newsletter vom 01.06.) zunehmender Angriffe ausgesetzt. Dies berichtet die katholische Zeitung "Die Tagespost" (Ausgabe vom 07.06.) War Clement zunaechst oeffentlich ausschliesslich von Unionspolitikern und spaeter von den Kirchen kritisiert worden, so hagele es nun auch Hiebe von Seiten des Koalitionspartners und sogar aus Reihen der eigenen Partei. "Allein Bundeskanzler Gerhard Schroeder", so das Blatt weiter, "scheint bemueht, den Vorstoss seines Stellvertreters im Amt des Parteivorsitzenden herunterspielen zu wollen." Seinen Kanzleramtssprecher Bela Anda hatte Schroeder Anfang der Woche erklaeren lassen: "Die Bundesregierung haette es vorgezogen, wenn so etwas im Ethikrat besprochen worden waere". Der von Schroeder ins Leben gerufene Nationale Ethikrat wird Ende dieser Woche zum ersten Mal zusammentreffen.

Waehrend der Deutsche Bundestag am vergangenen Donnerstag erstmals in einer grossangelegten Generalaussprache oeffentlich ueber die Chancen und Risiken der Gentechnik debattierte, hielt sich Clement zu Besuch in Israel auf. Begleitet von den beiden Bonner Neuropathologen Otmar Wiestler und Oliver Bruestle hatte Clement auch das Rambam Medical Centre in Haifa besichtigt. Bei dieser Gelegenheit sprach sich Clement nicht nur dafuer aus, den Import solcher Zellen nach Deutschland zu ermoeglichen. Er stellte den Bonner Forscher auch Landeshilfen fuer die Zusammenarbeit mit israelischen Kollegen aus Haifa in Aussicht. Aus den embryonalen Stammzellen wollen die Bonner Forscher Ersatzgewebe fuer Menschen mit erkranktem Hirngewebe zuechten.

Das Rambam Medical Centre in Haifa ist eines von drei Forschungsinstituten auf der Welt, in denen Forscher bereits embryonale Stammzellen aus kuenstlich erzeugten Embryonen gewonnen haben. Bei der Gewinnung der embryonalen Stammzellen wird der kuenstlich erzeugte Embryo getoetet. Das ist auch der Grund, warum nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz (ESchG) die Herstellung von embryonalen Stammzellen hierzulande verboten ist. Nicht ausdruecklich verboten ist nach dem Wortlaut des ESchG allerdings der Import solcher, noch voellig undifferenzierten, embryonalen Stammzellen, aus denen bei entsprechender Manipulation theoretisch jede Gewebeart gezuechtet werden kann. Allerdings lag der Handel mit embryonalen Stammzellen bei der Verabschiedung des ESchG vor zehn Jahren fuer den Gesetzgeber damals offenbar jenseits des Vorstellbaren.

Die Union kuendigte inzwischen einen Gesetzentwurf an, um den von Clement befuerworteten Import dieser Stammzellen zunaechst bis zu einer endgueltigen Entscheidung im Bundestag zu unterbinden. So wollen CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz und CDU-Chefin Angela Merkel bereits Mitte des Monats einen Entwurf fuer ein Moratorium ins Parlament einbringen. Der "Bild am Sonntag" (Ausgabe vom 03.06.) sagte Merkel: "Es ist ein Skandal, dass der Bundeskanzler erklaert, er wolle das Embryonenschutzgesetz nicht aendern, und Ministerpraesident Clement gleichzeitig ueber die Hintertuer Fakten schafft."

Der CDU-Europaabgeordnete und Arzt Peter Liese erklaerte, "diejenigen, die behaupten, Deutschland wuerde sich isolieren, wenn wir die Zerstoerung von Embryonen zu Forschungszwecken nicht akzeptieren, verdrehen die Tatsachen. Selbst in den USA, dem sogenannten Land der unbegrenzten Moeglichkeiten, findet eine heftige Debatte ueber Risiken der Forschung mit embryonalen Stammzellen statt. Praesident Bush hat die Gelder fuer diese Art der Forschung vor kurzem auf Eis gelegt", so Liese, der auch Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bioethik der christdemokratischen Fraktion (EVP/ED) im Europaeischen Parlament ist.

Die Heilsversprechen, die im Zusammenhang mit der Forschung an embryonalen Stammzellen gemacht werden, haelt Liese fuer unverantwortlich: "Wenn etwa NRW-Ministerpraesident Clement sagt, es gehe kurzfristig um Heilung von Patienten und nur langfristig um finanzielle Interessen, weckt er damit Hoffnungen bei Patienten, die niemand erfuellen kann. Ob die Forschung mit embryonalen Stammzellen ueberhaupt jemals einem Patienten nutzen wird, ist bisher unklar. Moeglicherweise sind die Alternativen, nicht nur im Bereich der adulten Stammzellen, vielversprechender. Vor allem aber wird es noch sehr lange dauern, bis die moderne Biotechnologie ueberhaupt einen nennenswerten Beitrag zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer leisten kann".

Dagegen wandte sich die FDP-Forschungsexpertin Ulrike Flach gegen ein Verbot des Imports embryonaler Stammzellen. Wenn die CDU dafuer eintrete, verabschiede sie sich als Zukunftspartei, sagte Flach. Die FDP werde sich solchen Versuchen widersetzen. Es sei nicht sinnvoll, Deutschland zum einen zum Zentrum der Stammzellenforschung machen zu wollen, und dann diese Tuer durch ein Importverbot zuzuschlagen. Die FDP stehe auf Clements Seite.

CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sagte im "Deutschlandfunk", das Parlament muesse die Entscheidungen ueber den kuenftigen Weg in der Gen- und Biotechnik treffen. Dabei gehe es nicht um Fraktions-, sondern um Gewissensentscheidungen der Abgeordneten. Die CSU will den Import embryonaler Stammzellen notfalls vom Bundesverfassungsgericht verbieten lassen. Der Fraktionschef der CSU im bayerischen Landtag, Alois Glueck, forderte Bundesjustizministerin Herta Daeubler-Gmelin (SPD) via "Welt am Sonntag" (Ausgabe vom 03.06) auf, zu pruefen, ob das Vorgehen Clements verfassungsrechtlich haltbar sei. Tue sie das nicht, muesste die CSU ueberlegen, ob sie rechtliche Schritte einleite.

Der Erzbischof von Koeln, Joachim Kardinal Meisner sagte, die ganze Gesellschaft sei aufgerufen, "gegen das ungeheuerliche Vorgehen Clements zu protestieren". Meisner: "Die katholische Kirche kann und wird nicht akzeptieren, dass in Nordrhein-Westfalen im Handstreich ueber die Toetung menschlichen Lebens entschieden wird." Scharfe Kritik aeusserte auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Praeses Manfred Kock. "Der christliche Glaube sperrt sich gegen den Missbrauch menschlichen Lebens als Biomasse." Dem "Koelner Stadt-Anzeiger" sagte Kock (Ausgabe vom 05.06.), die Wissenschaft giere danach, sich Patente und Marktanteile zu sichern.

Die fruehere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Buendnis 90/Die Gruenen) forderte Clement auf, den "Geist des Embryonenschutzgesetzes" zu respektieren. Dies bedeute: "Wir wollen nicht an Material arbeiten, das durch die Toetung von Embryonen gewonnen wurde." Monika Knoche, die fuer die Gruenen in der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" sitzt, warf Clement vor, als einziges Ziel wirtschaftlich verwertbare Patentanmeldungen zu verfolgen. Der rechtspolitische Sprecher der gruenen Bundestagsfraktion, Volker Beck, kritisierte gegenueber der "Financial Times Deutschland" (Ausgabe vom 05.06.) die Forschung an embryonalen Stammzellen als "unangemessen und ueberstuerzt", aeusserte allerdings auch, es sei verfassungsrechtlich zweifelhaft, ob der umstrittene Import der Zellen fuer Forschungszwecke ueberhaupt verboten werden koenne. Beck forderte von den Laendern wie von den Unionsparteien, den im Bundestag hergestellten Konsens im Umgang mit dieser Frage zu achten. Danach soll es in dieser Wahlperiode keine Aenderungen des Embryonenschutzgesetzes geben. Das bedeute, in dieser Wahlperiode duerfe die embryonalen Stammzellenforschung staatlich nicht gefoerdert werden, erklaerte Beck.

Widerspruch gegen Clements Vorstoss kam auch aus dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass der da vorprescht", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Regina Schmidt-Zadel. Ungewoehnlich deutlich wurde Clement auch von SPD-Generalsekretaer Franz Muentefering kritisiert. In zwei Rundfunkinterviews bezeichnete Muentefering Clements Plaene als "nicht hilfreich und zumindest missverstaendlich". Dies berichtet die Tageszeitung "Die Welt" (Ausgabe vom 06.06.) Solange die Debatte zum Thema in Deutschland gefuehrt werde und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nicht ueber das von Clement massiv unterstuetzte Forschungsprojekt der Universitaet Bonn entschieden habe, "werden auch in Nordrhein-Westfalen keine Stammzellen importiert werden koennen", sagte Muentefering, der auch Vorsitzender des nordrhein-westfaelischen SPD-Landesverbandes ist. Da man auch "unter Freunden ein offenes Wort miteinander spreche", habe er Clement gesagt, dass seine "konkretisierende Intervention in Israel zumindest jetzt missverstaendlich" gewesen sei, erklaerte Muentefering. Die Mehrheit sei schliesslich der Meinung, "dass wir nicht die Praxis veraendern duerfen, mindestens nicht, solange wie es dazu nicht eine einvernehmliche Loesung gibt auf breiter Basis."

 

Clement selbst hat seinen umstrittenen Vorstoss gegen die wachsende Kritik aus Politik und Kirche verteidigt. "Ich habe von Israel aus nichts praejudiziert", sagte Clement. In einem Telefonat mit Kanzler Gerhard Schroeder (SPD) habe er dieses Missverstaendnis bereits ausgeraeumt. An der Universitaet Bonn solle nur dann mit embryonalen Stammzellen gearbeitet werden, wenn die DFG dies zuvor akzeptiert habe. Seinen Kritikern warf Clement vor, die internationale Entwicklung in der medizinischen Forschung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Clement sagte, das Embryonenschutzgesetz erlaube die Einfuhr nach Deutschland. "Wir sollten dieses Fenster nutzen." Die Gefahr eines "schwunghaften Handels mit Embryonen" bestehe nicht. Wenn die Politik nur auf die Risiken schaue, werde die Forschung, die fuer Krankheiten Heilungschancen verspreche, nicht mehr in Deutschland stattfinden.

Unterdessen bekaeftigte der Leiter des Instituts fuer Neuropathologie Bonn, Otmar Wiestler, sein Interesse, menschliche embryonale Stammzellen aus Israel zu importieren und damit zu forschen. Dies solle aber nicht an der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorbei geschehen. Wiestler hat zusammen mit seinem Kollegen Oliver Bruestle das umstrittene Projekt bei der DFG beantragt. Die DFG hatte den Antrag zunaechst auf Druck von Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) zurueckgestellt, die diese Frage zunaechst von dem Nationalen Ethikrat behandelt wissen wollte. Wiestler geht davon aus, dass die DFG am 4. Juli ueber die Foerderung entscheiden wird. Erst danach bestehe die Moeglichkeit, Zellen zu importieren und mit den Arbeiten zu beginnen. Bereits im Juni sollen laut Wiestler jedoch die Kooperationsgespraeche mit den israelischen Forschern in Bonn fortgesetzt werden. An den Gespraechen wolle sich auch Clement beteiligen, sagte Wiestler.

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