04.06.2001

Welches Leben ist eigentlich lebenswert?

Wie in Sachen Gentechnik eine nationalsozialistische Debatte neu auflebt

Welches Leben ist eigentlich lebenswert?

Wie in Sachen Gentechnik eine nationalsozialistische Debatte neu auflebt

 

Die Debatte in Deutschland verläuft schizophren: Während man sich einerseits bemüht, die letzten Folgen des nationalsozialistischen Terrors zu mildern (die Zwangsarbeiter werden entschädigt), beginnt man gleichzeitig, eine längst totgeglaubte, da nationalsozialistische Diskussion neu aufzugreifen: Welches Leben ist eigentlich lebenswert? Genau diese Frage steht letztlich hinter dem Streit um Embryonenforschung und Sterbehilfe. Die Befürworter einer weitreichenden Forschung wollen Gutes: daß Erbkrankheiten ausgemerzt werden. Doch dabei gehen sie von einem Trugschluß aus: daß nämlich behindertes Leben nicht so glücklich sein könne wie das Leben körperlich gesunder Menschen. Wer freilich mit Behinderten zu tun hat, erlebt häufig das Gegenteil: Behinderte äußern sich oft zufriedener über ihr Leben als vermeintlich Gesunde, haben sie doch gelernt, mit Grenzen zu leben. Christen unter den Behinderten haben außerdem oft den Gesunden das Wissen voraus, daß Gott tatsächlich ein ganz konkret wirkender Heiland ist. Das Leben dieser Menschen will man nun verhindern – vor allem durch die Präimplantationsdiagnostik (PID): Stellt man bei einem Embryo eine Behinderung fest, wird er eben vernichtet. Wird PID üblich, teilt sich die Gesellschaft noch mehr als bisher schon in Eltern, die zu vorgeburtlichen Eingriffen bereit sind, und denen, die dies aus Prinzip ablehnen und Schmähungen in einer Gesellschaft in Kauf nehmen, der Gesundheit alles bedeutet!

 

Das Menschenbild wird entmoralisiert – Eine besondere Tragik: die Verwirrung in der CDU

Es bleibt auch nicht ohne weitreichende Folgen, wenn man den Embryo nicht mehr als Menschen versteht, sondern als Rohstoff, den man verändern kann. Denn dadurch wird das Menschenbild entmoralisiert. Der Bundespräsident hat deshalb jetzt zu Recht für den ungeteilten Schutz des Lebens von der Befruchtung bis zum Tod plädiert. Freilich schwieg er zu dem Thema, das das Faß erst geöffnet hat: zur Fristenregelung. Mit der Ermöglichung der straffreien Abtreibung nach Beratung in den ersten drei Monaten wurde 1996 erstmals das Recht auf Leben massiv eingeschränkt. Kritiker haben damals das prophezeit, was heute eintrifft: eine Debatte um die Euthanasie. Es ist nur logisch, wenn man nun meint, Leben auch an seinem Ende in bestimmten Fällen vernichten zu können. Der FDP-Spitzenpolitiker Jürgen Möllemann hat sich von daher konsequent für die aktive Sterbehilfe ausgesprochen. Und so wie sich bald Behinderte rechtfertigen müssen, daß sie leben, so werden es angesichts der Überalterung auch bald immer mehr Alte tun müssen, besonders wenn sie schwach und krank sind. Es ist eine besondere Tragik, daß in dieser Situation die Partei, die das ”C” im Namen trägt, ein Bild der Verwirrung bietet, treten doch prominente Vertreter sogar für die PID ein, so daß katholische Bischöfe und Zeitungskommentatoren bereits fragen, ob sich Christen überhaupt noch bei der CDU/CSU aufgehoben wissen könnten.

Warum dennoch Parteienschelte schwerfällt

Doch Parteienschelte fällt in diesen Tagen schwer angesichts dessen, daß die Verantwortlichen des größten Protestantentreffens in diesem Jahr, des Kirchentages, selbst einen Grundkonsens verlassen haben. Sie haben monatelang das Heilige Abendmahl zu einem reinen Sättigungsmahl ohne Sündenvergebung degradieren können. Doch wie kann man von Politikern die Einhaltung christlicher Grundwerte verlangen, wenn erst nach massivem Protest die Leitung eines Kirchentages einlenkte und das Abendmahl nun wieder das wird, was es ist: die innigste irdische Verbindung zwischen Christus und Christen? (Helmut Matthies, idea) (41 Zeilen/3.570 Zeichen)