15.07.2001

Die Gentechnik-Lüge

Kommentar von Jutta Kramm in der Berliner Zeitung

Die Gentechnik-Lüge

Kommentar von Jutta Kramm in der Berliner Zeitung

Die Amerikaner haben in dieser Woche gezeigt, worum es in der gentechnologischen Debatte wirklich geht. Waehrend in Deutschland noch ueber Embryonenschutz und die Wuerde des ungeborenen Lebens diskutiert wird, zuechten und verwerten US-Wissenschaftler Embryonen zu medizinischen, aber vor allem auch kommerziellen Zwecken. Nichts Anderes ist geschehen, als Forscher des Jones Institute fuer Reproduktive Medizin in Norfolk Ei- und Samenzellen von bezahlten Spendern nahmen, damit Embryonen herstellten und diese zur Produktion von Stammzellen benutzten. Die ueberfluessigen befruchteten Eizellen wurden vernichtet.

Ein US-Unternehmen will Embryonen fuer Stammzellzwecke sogar klonen. Dabei kann den Wissenschaftlern durchaus ein hohes ethisches Motiv unterstellt werden: Sie wollen herausfinden, ob mit diesen Zellen irgendwann einmal zum Beispiel Parkinsonkranke geheilt oder Spenderorgane fuer Kranke gezuechtet werden koennen.
Von solcherlei Versuchen oder gar Erfolgen sind deutsche Forscher weit entfernt. Noch duerfen sie nicht einmal Embryonen herstellen, geschweige denn mit ihnen experimentieren.

Der Disput hier zu Lande dreht sich - gemessen an dem, was die Amerikaner bereits tun - um Vorlaeufigkeiten. Gestritten wird darueber, ob im Labor gezeugte Embryonen vor dem Einpflanzen in die Gebaermutter genetisch untersucht werden duerfen - die so genannte Praeimplantationsdiagnostik (PID). Und es geht darum, ob importierte Stammzellen (hergestellt aus uebrig gebliebenen Embryonen nach Fruchtbarkeitsbehandlungen im Ausland) fuer die Forschung benutzt werden duerfen. Doch in dieser Debatte wird verdraengt und beschoenigt, und es wird gelogen. Dass auch in Deutschland irgendwann gemacht werden soll, was jetzt in Amerika geschieht, spricht kaum jemand deutlich aus. Doch darum geht es.

Das laesst sich am Beispiel Praeimplantationsdiagnostik zeigen. Immer wieder wird behauptet, diese Technik solle auf sehr wenige, genetisch schwer belastete Paare beschraenkt bleiben. Verschwiegen wird, dass fuer eine PID acht bis zehn Eizellen besamt werden muessen. Was mit den ueberfluessigen, fuer schlecht befundenen Embryonen geschehen soll, diese Frage wird weder gestellt noch beantwortet. Letztlich ist es doch so: Mit der PID entstuenden erst jene "verwaisten" Embryonen, die es in Deutschland bislang nicht geben darf. Existiert der Embryo erst einmal, wird auch bei uns bald jenes Argument kommen, das schon heute im Ausland stets verfaengt: dass es ethisch eher zu vertreten sei, mit dem ungeborenen Leben zu forschen als es zu vernichten.

Verschwiegen wird zum Thema PID auch, dass sich die Technik nicht auf die Hochrisikopaare beschraenken laesst, wie die Praxis in England und Belgien belegt. Dort sind die Aerzte bereits dazu uebergegangen, Gentests routinemaessig bei jeder Reagenzglasbefruchtung anzuwenden. Auch im Streit um die Stammzellen wird unehrlich und taktisch argumentiert. Immer wieder wird in der oeffentlichen politischen Debatte argumentiert, es gehe nur um importierte Zellen. Dabei duerfte allen Beteiligten klar sein, dass durch den Import ein Wertewiderspruch konstruiert wird. Mit welchem Argument will man deutschen Forschern, die mit fremden Zellen experimentieren duerfen, verbieten, eigene Stammzellen herzustellen?

Noch bedenklicher aber ist, dass nicht offen gelegt wird, was das eigentliche Ziel der Stammzellforschung ist: das therapeutische Klonen. Im Gegenteil: Unisono behaupten Kanzler, Forschungsministerin und Deutsche Forschungsgemeinschaft, diese Technik solle verboten bleiben. Dabei wissen sie - muessen sie wissen - dass die praktische medizinische Anwendung der Stammzellforschung im therapeutischen Klonen liegt.

Nicht alles, was in Amerika geschieht, wird zwangslaeufig auch hier gemacht werden. Aber wenn wir eine gesellschaftliche Debatte darueber fuehren, ob wird den bisher geltenden strikten Embryonenschutz aufweichen wollen oder nicht, dann muss dieser Diskurs offen und darf nicht taktisch gefuehrt werden. Nur dann koennen wir auch ueber realistische Grenzen nachdenken.

Wir sollten nicht laenger so tun, als ginge es um das Schicksal einiger weniger erbbelasteter Elternpaare und um einige hundert verwaiste Embryonen, deren Existenz man einen Sinn geben will. Tatsaechlich geht es um einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem ungeborenen Leben. Ein Embryo ist nicht laenger das "zukuenftige Kind zukuenftiger Eltern", wie es die Politikerin Margot von Renesse sagt. Der Embryo wird zum wertvollen Rohstoff."