12.08.2001

Pietisten zur Toleranz gegenüber „charismatischen Geschwistern“ ermahnt

Allianz-Referent Westerheide fordert „christliche Gelassenheit“

Pietisten zur Toleranz gegenüber „charismatischen Geschwistern“ ermahnt

Allianz-Referent Westerheide fordert „christliche Gelassenheit“

B a d B l a n k e n b u r g, 3. August 2001 (idea) - Mehr „christliche Gelassenheit“ bei der Beurteilung ungewöhnlicher religiöser Phänomene erwartet der Referent der Deutschen Evangelischen Allianz, Pfarrer Rudolf Westerheide (Lemgo). Er sprach bei der Jahreskonferenz vom 1. bis 5. August im thüringischen Bad Blankenburg. In einem Seminar appellierte er an die überwiegend pietistischen Teilnehmer, ihren „charismatischen Geschwistern“ mindestens genauso viel Toleranz entgegenzubringen wie einigen Landeskirchlern, von denen sie sich lehrmäßig häufig wesentlich stärker unterschieden. 1909 spaltete sich der evangelikale Teil des deutschen Protestantismus in eine pietistische und eine pfingstkirchliche Strömung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur charismatischen Bewegung weiterentwickelte. Westerheide zufolge sind die pietistischen Vorbehalte gegen die charismatische Bewegung deshalb so heftig, weil diese an unbewältigte Ereignisse innerhalb ihrer eigenen Tradition erinnere. Besondere Merkmale der charismatischen Bewegung, etwa emotionale Überschwenglichkeit, Kampf gegen Dämonen, Prophezeiungen oder der Anspruch auf einen exklusiven Besitz der Wahrheit, ließen sich auch in der Geschichte des Pietismus nachweisen. Westerheide sieht sogar „eindeutige Parallelen“. Ein pietistischer Gemeinschaftsverband sei sogar aufgrund entstanden, weil der Gründer eine prophetische Schau gehabt habe. In den Prophetien der Charismatiker, so Westerheide, fänden Pietisten den „inflationären und geistlich niemals geklärten Umgang mit Prophetien in den eigenen Reihen“ wieder. Sie müßten sich mit Vorgängen auseinandersetzen, die sie „lieber mit Schweigen übergehen“ wollten.

Gefühlsmäßige Frömmigkeit gibt es auch im Pietismus
Auch gefühlsmäßige Frömmigkeit gehörten zu beiden Strömungen, sagte Westerheide weiter. Der Pietismus habe gelehrt, Gott mit Herzen, Mund und Händen zu loben. Dies drücke sich in vielen Liedern aus. Allerdings würden manche Verse, in denen beispielsweise das „Jesulein“ als „wunderschöner Bräutigam“ besungen werde, heute als eine unangemessene „Jesus-Süßlichkeit“ abgelehnt. Dennoch gebe es keinen Grund, erhobene Hände und verzückte nach oben gerichtete Blicke in charismatischen Gottesdiensten als ungeistlich zu kritisieren. Überhaupt könne man von Äußerlichkeiten nicht auf die zu Zuordnung zu einer bestimmten Bewegung schließen. „Ich habe in charismatischen Versammlungen Predigten gehört, die beste lutherische Theologie darboten, und pietistische Jugendstunden erlebt, in denen ein erfrischender, echter und zu Herzen gehender Lobpreis erscholl“, berichtete Westerheide.