12.08.2001

Die Bioethik-Debatte entpuppt sich als Kulturkampf

Seit Monaten wird hier zu Lande heftig ueber die Gentechnik und ihre Folgen gestritten. Da werden juristische, technische und naturwissenschaftliche Argumente ausgetauscht und ueber den Import von embryonale Stammzellen, das Klonen von Embryonen und Selektion durch Gentests gestritten. Doch eigentlich geht es um etwa viel Grundsaetzlicheres: Das Menschenbild. Weil das so ist, bekommt die Debatte immer grundsaetzlichere Zuege. In diesen Tagen haben zwei Kontroversen die Vermutung genaehrt, dass sich die Gesellschaft in einem offenen Kulturkampf befindet.

Zunaechst veroeffentlichte die Wochenzeitung "Die Zeit" (Ausgabe vom 26.07.) einen Leserbrief von Bundeskanzler Gerhard Schroeder, in dem dieser einen Beitrag von "Zeit"-Chefredakteur Michael Naumann, Schroeders ehemaligem Kulturstaatsminister, scharf verurteilt. Naumann hatte, anders als sein Amtsnachfolger Julian Nida-Ruemelin, die Biopolitik des Kanzlers mehrfach kritisiert. In einem Brief an die "Zeit" gesteht der Kanzler "freimuetig" zu gestehen, dass der Text seines ehemaligen Staatsministers bei ihm "eine Mischung aus Ratlosigkeit, Befremden und auch Kopfschuetteln ausgeloest hat." "Ueberrascht" und "irritiert", sei er, von der "nicht nur latenten, sondern offenen Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit" Naumanns.

 

"Mit einem romantisch-religioesen Beduerfnis nach einer Wiederverzauberung der Welt" wisse er "persoenlich nichts anzufangen." "Wollen Sie denn ernsthaft beklagen", so Schroeder weiter "dass es durch Aufklaerung und Erkenntnisfortschritte der Naturwissenschaften moeglich geworden ist, schicksalhafte Zwaenge und Abhaengigkeiten in der menschlichen Existenz zu ueberwinden und der Selbstbestimmung des Menschen zum Durchbruch zu verhelfen? Sollten wir ernsthaft darauf verzichten, Fortschritte der Wissenschaft zu nutzen, um ?die Muehseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern?, wie es bei Brechts Galileo heisst?"

"Nicht nachvollziehbar" sei fuer ihn warum Naumann "die "Abwesenheit Gottes" oder den "allgemeinen Verzicht auf theologische Argumente" in der Debatte um Gentechnik und Biomedizin als "peinliche Argumentationsluecke" empfinde. "Ich bin nicht nur fest davon ueberzeugt, dass sich eine ueberzeugende moralische Position in dieser Debatte auch ohne den Rekurs auf Gott vertreten laesst. Vor allem verstehe ich Ihre Verzweiflung auch deshalb nicht, weil die Amtskirchen als Institutionen, einzelne Kirchenvertreter, Theologen oder religioes argumentierende Publizisten und Wissenschaftler seit Monaten und Jahren sehr stark gerade den Verlauf dieser Debatte praegen. Wenn denn ueberhaupt eine Position in aller Deutlichkeit vertreten worden ist, dann doch wohl eine religioes-theologisch-(fundamentalistisch) begruendete Ablehnung von Biomedizin und Gentechnik", schreibt der Kanzler.

 

"Manchmal bin ich schon verwundert, welche merkwuerdigen Buendnisse sich aus christlichem Wertkonservatismus und linksalternativer Technologiekritik so ergeben. Ich weiss, dass man sich seine Buendnispartner nicht immer aussuchen kann, aber es ist doch nicht frei von Komik, ploetzlich zu beobachten, wer sich an der Seite von Roland Koch wiederfindet." Sie beklagen", wirft Schroeder Naumann vor, "den "Verlust des theologisch gepraegten Respekts vor dem Sakralen und Nominosen". Und die Ursache hierfuer sehen Sie im Fortschritt der modernen Wissenschaften. Darin, lieber Herr Naumann, kann ich Ihnen nicht folgen. Da bleibe ich Kind der Aufklaerung und des Liberalismus."

In seiner, neben dem Leserbrief des Kanzlers abgedruckten Antwort haelt Naumann sich strikt an seinen Text: "Dem Beduerfnis nach einer religioesen "Wiederverzauberung der Welt" wird in meinem Artikel in Wirklichkeit eine melancholische Absage erteilt: Was ich vielmehr vorschlage, ist, praktische politische Lehren zu ziehen aus den normativen Krisen, aber auch aus den medizinwissenschaftlichen, historischen Entgleisungen im Gefolge des allgemeinen Glaubensverlustes in Europa", schreibt der ehemalige Staatsminister. Daraus folge kein Aufruf zu einer neuen religioesen Erweckungsbewegung. "Im Gegenteil. Die Kernthese meines Arguments ist ja gerade die, dass die "peinliche Argumentationsluecke", die sich in der bioethischen Debatte oeffnet, in der Frage beschlossen liegt, was denn eigentlich unwiderlegbar die Unantastbarkeit des Menschen, auch die des Embryos, ausmache." "In unserem saekularen Staat", faehrt Naumann fort, "kann sie gesetzlich nicht mehr mit dem Hinweis auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Sinne der christlichen Glaubenslehre beantwortet werden."

 

Allerdings gehoere es "ebenfalls zum Liberalismus der Bundesrepublik, dass diejenigen, denen diese Antwort kraft ihres Glaubens noch moeglich ist, nicht in die Ecke des Fundamentalismus, also einer weltfernen Beschraenktheit, plaziert werden sollten." Die "Heiligkeit des Lebens", die Schroeder als "Konzept" bezeichnet hatte, sei "Kern einer juedisch-christlichen Anthropologie, die sich auf Gott beruft", belehrt Naumann den Kanzler und stellt klar, dass "Hans Jonas Begriff der "Unverfuegbarkeit des Anderen" auf den sich Schroeder beruft, ebenfalls "in dieser Tradition" stehe. Das mache Jonas ebenso wenig wie ihn selbst "oder jene, die mit den Dogmen der Kirche nichts mehr anfangen koennen und sich an die Abwesenheit Gottes gewoehnt haben, zu Fundamentalisten - nur, weil sie auf eine "Argumentationsluecke" der bioethischen Debatte hinweisen".

Dem Kind der Aufklaerung gegenueber stellt Naumann klar: "Ich beklage nicht den "Verlust des theologisch gepraegten Respekts vor dem Sakralen und Numinosen", ich stelle ihn fest. Selbstverstaendlich wuchs dieser "Verlust" im Zuge der Aufklaerung. Freilich fehlt mir der Glaube, dass der "Fortschritt der Wissenschaften" unaufhaltsam segensreich war - oder sein wird." Wie der Kanzler halte auch er "unsere Gesellschaft durchaus fuer faehig, schwierige moralische Entscheidungen nach Abwaegung aller Kenntnisse und Interessenlagen zu treffen." Dafuer aber, "dass sich die besten Argumente am Ende durchsetzen", belehrt Naumann Schroeder "gibt es freilich keine Garantie".

Eine zweite Kontroverse hat der Praesident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Wolfgang Fruehwald, der von 1992 bis 1997 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als Praesident vorstand, ausgeloest. In einem Interview mit der Zeitschrift "Forschung und Lehre" hatte Fruehwald die Ansicht geaeussert, es gehe in der Bioethikdebatte im Grunde um einen Kulturkampf zwischen einem "christlichen" und "kantianischen" und einem "szientistisch-sozialdarwinistisches" Weltbild.

In der "Sueddeutschen Zeitung" (Ausgabe vom 31. Juli) hatte der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf, Fruehwald daraufhin scharf kritisiert.