26.10.2000

In Christus verbunden

Ein Interview mit dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz

In Christus verbunden

Ein Interview mit dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz

Die größte evangelikale Bewegung in Deutschland, die Evangelische Allianz, hat einen neuen Leiter: Peter Strauch (Witten). Der 57-jährige Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden wurde auf der Herbsttagung des Allianzhauptvorstandes am 3. und 4. Oktober im thüringischen Bad Blankenburg zum ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden gewählt. Er ist Nachfolger von Rolf Hille. Der promovierte Theologe kandidierte nach sechsjähriger Amtszeit nicht wieder, um sich seinen Tätigkeiten als Rektor des Albrecht-Bengel-Studienhauses in Tübingen und als Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Theologie verstärkt widmen zu können. Sein Vorgänger war der damalige sächsische Superintendent Jürgen Stabe (Annaberg-Buchholz).
Peter Strauch, bisher Stellvertreter Hilles, erklärte nach seiner Wahl, die Allianz wolle angesichts der ethischen Orientierungslosigkeit künftig stärker Flagge zeigen. Dies gelte für den Einsatz gegen die zunehmende Zahl von Abtreibungen ebenso wie für den Protest gegen jede Gleichstellung von Ehe und homosexuellen Lebensgemeinschaften. Auch suche die Allianz das Gespräch mit Politikern. Innerhalb der evangelikalen Bewegung will sich Strauch dafür einsetzen, dass mehr miteinander als übereinander geredet wird, wenn es zu Kontroversen kommt. Strauch - ebenfalls stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung evangelischer Freikirchen - ist auch als Texter und Komponist vieler Lieder bekannt, die in Gesangbücher unterschiedlicher Kirchen übernommen wurden. Seit 1991 leitet er den 32.000 Mitglieder zählenden Bund Freier evangelischer Gemeinden.
Der aus Wetter an der Ruhr stammende Vater zweier Töchter gehört seit 1986 dem Hauptvorstand der Allianz an, zu der sich 1,3 Millionen Christen aus Landes- und Freikirchen sowie 250 Organisationen zählen. Sie verstehen sich als theologisch konservativ und bezeichnen sich seit Mitte der sechziger Jahre nach anglo-amerikanischem Vorbild als evangelikal. Mit Strauch steht zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder ein freikirchlicher Theologe an der Spitze der Allianz.
Zum neuen stellvertretenden Allianzvorsitzenden wurde der Generalsekretär des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften), Theo Schneider (Dillenburg), gewählt. Der in Franken aufgewachsene 51-jährige Prediger gehört seit 1977 zur Leitung dieser innerkirchlichen pietistischen Dachorganisation mit rund 300 000 Mitgliedern.

Herr Strauch, was hat Sie bewogen, sich als Nachfolger von Rolf Hille zur Wahl zu stellen?

Ich habe mich nicht zur Wahl gestellt, sondern wurde angefragt, ob ich bereit sei, mich in diese Aufgabe wählen zu lassen. Diese Unterscheidung ist mir wichtig, weil ich es für falsch hielte, ein solches Amt anzustreben. Schließlich muss ich ja wissen, ob es sich dabei um eine Platzanweisung Gottes handelt. Das war für mich die entscheidende Voraussetzung. Außerdem hätte ich gerne in der bisherigen Kombination mit Dr. Rolf Hille als ersten Vorsitzenden weiter gearbeitet. Es war ein gutes Miteinander, und es gab zwischen uns eine große Übereinstimmung in dem, was uns für die Evangelische Allianz wichtig war.
Dass ich also die Wahl zum ersten Vorsitzenden annahm, hängt zum einen mit der beschriebenen Führung Gottes zusammen, zum anderen aber auch mit meiner Überzeugung, dass Menschen, die an Jesus Christus glauben, zueinander gehören, unabhängig davon, in welcher Kirche sie zu Hause sind. Die Einheit der Christen sollte eben nicht erst in der neuen Welt Gottes sichtbar werden, sondern schon hier und heute. Wie will man sonst Jesus verstehen, der sagt, dass alle, die an ihn glauben, eins sind, damit die Welt glaube...? Ich halte diese bezeugte Einheit über kirchliche Strukturen und Gemeindegrenzen hinweg für sehr wichtig und habe mich schon vorher dafür eingesetzt, unabhängig von dieser neuen Funktion.

Was bedeutet es für den Bund Freier evangelischer Gemeinden (BFeG), dass sein Präses gleichzeitig auch Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) ist?

Für den Bund Freier evangelischer Gemeinden ist das gar nicht so aufregend neu. Der frühere Leiter unserer Hamburger Freien evangelischen Gemeinden, Dr. Fritz Laubach, war z. B. einer meiner Vorgänger in diesem Amt, wie auch unser früherer Bundesvorsteher Wilhelm Gilbert. Auch Karl Heinz Knöppel arbeitete in der Leitungsverantwortung der Evangelischen Allianz mit, und wenn man sich die Reihe unserer frei-evangelischen Väter ansieht, so haben sich viele von ihnen in die Evangelische Allianz eingebracht. Das geht zurück bis zu den Anfängen unserer Gemeinden. Bereits acht Jahre vor der Gründung der ersten Freien evangelischen Gemeinde in Deutschland wurde 1846 in London die Evangelische Allianz international ins Leben gerufen, und Adolphe Monod, durch den Hermann Heinrich Grafe die wesentlichen Anstöße zur Gründung der Freien evangelischen Gemeinde bekam, war einer ihrer Mitbegründer.
Ich denke, die engen Beziehungen zwischen Freien evangelischen Gemeinden und Evangelischer Allianz hängen aber auch damit zusammen, dass unser Gemeindeverständnis in den Grundzügen mit den Leitlinien der Evangelischen Allianz übereinstimmt. Auch der Evangelischen Allianz geht es um die gelebte Einheit der Glaubenden, natürlich ohne dass es damit zur Gemeindebildung kommt. Und beide, die Evangelische Allianz und die Freien evangelischen Gemeinden, verstehen unter Glaubenden solche, die sich aufgrund des großen Heilsangebotes Gottes bekehrt haben und wiedergeboren sind. Ich bin oft fasziniert, wie viele Leute aus Freien evangelischen Gemeinden ich in den verschiedensten Allianzwerken finde, und das hängt sicher auch mit dieser beschriebenen Nähe zusammen.

Vor welchen Herausforderungen steht die Deutsche Evangelische Allianz in den nächsten Jahren? Welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer Amtszeit setzen?

Die Evangelische Allianz ist im Unterschied zur Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen ja keine Gemeinschaft von Kirchen, sondern eine Gemeinschaft von Christen aus den unterschiedlichsten Kirchen. Das ist ihre Stärke, die allerdings nur dort zum Tragen kommt, wo sie auch gelebt wird. Wir leben in einer Zeit, in der die Institutionen ihre Anziehungskraft verlieren, und das gilt auch für die Kirchen. Aber dort, wo glaubende Christen überzeugend leben, was sie glauben, gewinnen sie die Aufmerksamkeit der Menschen. Und dazu gehört nun einmal die Gemeinschaft über den eigenen Kirchenzaun hinaus, und zwar nicht nur punktuell in der ersten Woche des Jahres, sondern auch kontinuierlich. Das muss sich zeigen im gemeinsamen Beten, in gemeinsamen missionarischen Projekten, aber auch in gemeinsamen Stellungnahmen zu ethischen Fragen, bei denen wir als Christen nicht mit gutem Gewissen auf den Kurs der Mehrheit einschwenken können. Gerade in einer demokratischen Gesellschaft haben wir diese Verantwortung wahrzunehmen. Auch das gehört zu den Schwerpunkten und übrigens auch zur Geschichte der Evangelischen Allianz.

Präses des BFeG und Vorsitzender der DEA - beides sind Ämter, die viel Zeit und persönlichen Einsatz verlangen. Muss nicht eines von beiden bei dieser Dopplung leiden?

Das war die Frage, die mich bei der Anfrage am meisten beschäftigte. Zumal es ja nicht nur die beiden von Ihnen genannten Aufgabenfelder gibt, sondern auch meine Frau, der ich versprochen habe, in guten und schweren Tagen mein Leben mit ihr zu teilen. Trotzdem kam es zu einem Ja. Der Grund liegt darin, dass ich nach gründlicher Prüfung den Eindruck hatte, diese Aufgabe eben nicht zuerst von Menschen, sondern von Gott gestellt zu bekommen. Wenn das so ist, wird er mir auch die dazu erforderliche Zeit geben. Natürlich schließt das auch eine Neuordnung und Umstellung meines Arbeitsplanes ein.

Was freut Sie am meisten im Blick auf die Deutsche Evangelische Allianz, und was schmerzt Sie?

Am meisten freut mich die Erfahrung, dass ich dort Schwestern und Brüder finde, mit denen ich mich tief verbunden fühle, obwohl wir in Einzelfragen z. B. des Gemeindeverständnisses durchaus unterschiedlicher Ansicht sind. Diese innere Übereinstimmung, die nicht viel Worte braucht und die ich mir nur als die bereits geschenkte Einheit in Christus erklären kann, betrachte ich als ein unglaubliches Geschenk. Und es ist ja erstaunlich, was auf diesem Boden bereits an guten Modellen und Projekten geboren wurde. Vieles, wie z. B. ProChrist und der Pavillon der Hoffnung auf der Expo, hat hier seine Wurzeln.
Andererseits schmerzt mich an manchen Orten aber auch die Interesselosigkeit, die mir in Sachen Evangelischer Allianz begegnet. Das hat auch mit Gemeindeegoismus zu tun. Bei aller Verbindlichkeit der eigenen Gemeinde gegenüber brauchen wir auch den Blick für die Weite des Volkes Gottes. Wo der verloren geht, werden wir selbst ärmer. Eine Gemeinde gewinnt nichts, wenn sie ausschließlich sich selbst im Blick hat.
Mich schmerzt auch, dass an einigen Orten die jungen Leute bei den Allianzveranstaltungen fehlen, und das ist nicht immer ihre Schuld. Oft haben gerade sie einen Blick für das ganze Volk Gottes und versuchen diese Gemeinschaft auch über die eigenen Gemeindegrenzen hinaus zu leben. Hier scheint es mir eher die Frage an uns als Evangelische Allianz zu sein, ob wir die entsprechenden Möglichkeiten bieten. Manchmal ist die Allianz zu schwerfällig, zu unbeweglich. Manchmal zieht sie auch die Grenzen dort, wo sie nicht gezogen werden dürfen. Sie sollte zwar so eng sein, dass nur Glaubende in ihr mitarbeiten können, und was damit gemeint ist, steht in ihren Bekenntnispunkten. Man findet sie in den Informationsschriften der Evangelischen Allianz und im Internet (www.ead.de). Andererseits muss sie aber auch so weit sein, dass alle, die sich zu dieser Grundlage bekennen, Raum in ihr haben. Hin und wieder spielen hier vertraute Koalitionen der Zusammenarbeit eine größere Rolle als die theologische Basis der Evangelischen Allianz. Das schmerzt mich, und ich hoffe sehr und bin auch zuversichtlich, dass hier einiges in Bewegung kommen wird.
(Christsein heute 22/2000)