05.08.2014

Fernsehen: ARD-Film wirft Evangelikalen Machtmissbrauch vor

Die Deutsche Evangelische Allianz verwahrt sich gegen „Generalverdacht“

Fernsehen: ARD-Film wirft Evangelikalen Machtmissbrauch vor

Die Deutsche Evangelische Allianz verwahrt sich gegen „Generalverdacht“

Hamburg (idea) – Eine kritische Fernsehdokumentation über Evangelikale in Deutschland hat die ARD am Abend des 4. August ausgestrahlt. Der 45-minütige Film von Mareike Fuchs und Sinje Stadtlich unter dem Titel „Mission unter falscher Flagge - Radikale Christen in Deutschland“ stellte einige charismatische und pfingstkirchliche Gemeinden und Organisationen als fragwürdig und gefährlich heraus. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener (Kassel), verwahrte sich gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea dagegen, Evangelikale unter einen „Generalverdacht“ zu stellen. Angeführt wurden in dem Film unter anderem das Stuttgarter Gospel Forum unter Leitung von Pastor Peter Wenz, die Hamburger Kämpferin gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution Gaby Wentland mit ihrem Verein „Mission Freedom“ (Mission Freiheit), die in Berlin und Brandenburg tätige Organisation „Zukunft für Dich“ unter Leitung von Jörg Kohlhepp (Kirchmöser), die Freie Christliche Jugendgemeinschaft FCJG mit ihrem Leiter Walter Heidenreich (Lüdenscheid/Sauerland) und die „Tübinger Offensive Stadtmission“ (TOS) mit Pastor Jobst Bittner. Die Dokumentation warf ihnen religiösen Machtmissbrauch und Mission unter falschen Vorzeichen vor. Als Kronzeugen dienten einige anonym zitierte Aussteiger sowie Pfarrer Joachim Schlecht vom Zentrum für seelische Gesundheit am Klinikum in Stuttgart-Bad Cannstatt.

Pfarrer: Wenn Fundamentalisten mehr Einfluss bekommen

Er warf etwa dem Gospel Forum vor, Glaube als Machtmittel zu missbrauchen. Die TOS-Gemeinde etwa benutze die Sehnsucht der Menschen nach Erlebnissen, um diese Personen an sich zu binden. Dort werde auch behauptet, dass Menschen von Krankheiten geheilt würden, hinter denen der Teufel stecke. Schlecht warnte vor einem wachsenden gesellschaftlichen Einfluss solcher „Fundamentalisten“. Er frage sich, ob dann andere Menschen noch Platz zum Leben hätten.

Mission statt Sozialarbeit

Der Film warf unter anderem Wenz und dem Gospel Forum vor, hinter der Fassade einer fröhlichen Christengemeinde strenge Moralvorschriften zu praktizieren. Wentland, die am 20. Februar in Berlin mit dem Bürgerpreis der deutschen Zeitungen ausgezeichnet wurde, gehöre einer streng bibeltreuen Gemeinde an und werbe in einem Video mit der erfundenen Geschichte einer Zwangsprostituierten. Wenz und Wentland gehören dem Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz an. Wie es in dem Film weiter hieß, locke der Verein „Zukunft für Dich“ unter dem Deckmantel der Sozialarbeit Berliner Kinder mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken in seine missionarischen Veranstaltungen. Ehemalige Mitglieder der FCJG beklagten, dass man dort wie in einem Ghetto lebe. TOS praktiziere Glaubensheilungen und die Vergebung für Sünden, die Vorfahren im Nationalsozialismus begangen haben. Der nach eigenen Angaben homosexuelle Journalist Christian Deker (Hamburg) berichtete, wie er sich in der TOS als Hilfesuchender ausgegeben habe und ihn ein Arzt später angeblich von seinem Schwulsein heilen wollte.

Werth: Zur Allianz gehört Toleranz

Als Vertreter der Dachorganisation der rund 1,3 Millionen Evangelikalen, der Deutschen Evangelischen Allianz, kam der scheidende Direktor von ERF Medien (früher Evangeliums-Rundfunks), Jürgen Werth (Wetzlar), zu Wort. Er gehört dem Geschäftsführenden Vorstand der Allianz an und war von 2007 bis 2011 ihr Vorsitzender. Er betonte, dass Toleranz Bestandteil einer Allianz-Gesinnung sei. Zu den einzelnen Vorwürfen könne er nicht Stellung nehmen; man müsse mit den Betroffenen selbst sprechen und jeden Fall einzeln prüfen.

Allianzvorsitzender: Vieles geht durcheinander

Der Allianzvorsitzende Diener äußerte sich auf idea-Anfrage zu der Fernsehdokumentation. Sie mache deutlich, wie sehr säkulare und christliche Weltbilder auseinander klaffen und wie groß das Unverständnis sei für alle Glaubens- und Gottesdienstformen oder religiösen Kundgebungen, die nicht durch eine klassische kirchliche Praxis legitimiert seien. In dem Film gehe Vieles durcheinander: Direkte Beziehungen zur Deutschen Evangelischen Allianz oder zu einer Ortsallianz stünden neben Gruppen, die in keinem Verhältnis zur Allianz stünden. Diener bedauert, dass kritische Stellungnahmen durchweg anonymisiert seien und sich nachprüfbare Fakten und Behauptungen auf undurchschaubare Weise abwechselten. In seinem Fazit differenziere der Film zwischen Evangelikalen und radikalen Auswüchsen an ihren Rändern. Dieses Fazit könne er mittragen, doch stellten die beiden Filmtitel wie auch die Zusammenstellung der einzelnen Filmsequenzen evangelikale Christen unter einen Generalverdacht. Diener: „Das kann und darf in dieser Weise nicht geschehen.“

Öffentlich-rechtliche Sender sollten sich um Differenzierung bemühen

Wie er ferner betonte, soll christlicher Glaube befreien und nicht in die Abhängigkeit führen. Christliche Gemeinden und Gruppen müssten immer wieder überprüfen, ob die Erlebnisdimension des Glaubens überbetont werde oder die Gefahr der Manipulation von Menschen bestehe. Die Allianz sei dankbar für das Glaubensprofil charismatischer und pfingstlicher Gemeinden, aber an dieser Stelle sei besondere Vorsicht geboten. Diener: „Durch Handzeichen eine Heilung von einer Depression anzuzeigen, ist ebenso unseriös wie die Aufforderung, Spendengelder für alle sichtbar hochzuhalten. Auch schriftliche Beichtspiegel, die weit in die Intimsphäre eines Menschen eingreifen, halte ich für unangebracht. Evangelische und christliche Beichte insgesamt sehen anders aus.“ Es sei nicht verkehrt, aufzeigen zu lassen, „wie unsere Veranstaltungen auf säkulare Besucher wirken können“. Die Deutsche Evangelische Allianz stelle sich ausdrücklich hinter die Mitglieder ihres Hauptvorstandes und werde darauf hinwirken, dass eventuelle substantielle Vorwürfe lückenlos aufgeklärt werden. Diener: „Wir erwarten von Fernsehbeiträgen gerade öffentlich-rechtlicher Sender, dass sie sich um ein differenziertes Bild auch der Evangelikalen bemühen und nicht einseitig nur auf teils durchaus negativ zu betrachtende Erscheinungen hinweisen.“