29.07.2019

Vom pietistischen Jusi-Treffen

Kretschmann: In Debatten einbringen

Kohlberg (idea) – Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) hat Christen dazu aufgerufen, ihre Wertvorstellungen in die öffentlichen Debatten einzubringen. Kretschmann sprach am 29. Juli beim pietistischen Jusi-Treffen in Kohlberg (bei Stuttgart), das in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum feierte. Wegen anhaltenden Regens hatte es nicht auf dem 673 Meter hohen Vulkankegel „Jusi“ bei Kohlberg stattfinden können, sondern war spontan in die Kohlberger Jusihalle verlegt worden. Die Feier hat sich seit 1919 aus kleinsten Anfängen zu einem landesweiten Treffen von Mitgliedern des württembergischen Gemeinschaftsverbandes „Die Apis“ und des Evangelischen Jugendwerks entwickelt. Es wird auch als Deutschlands erste „Kirche im Grünen“ bezeichnet. Kretschmann betonte, die Demokratie sei eine „leere Freiheit“, solange die Bürger sie nicht mit Inhalten füllten. Das gelte gerade auch für die Christen. Er erinnerte daran, dass das Jusi-Treffen im selben Jahr begründet wurde, in dem die Weimarer Reichsverfassung in Kraft getreten sei, die den Deutschen volle Religionsfreiheit gewährt habe. Sie sei die wichtigste Freiheit, denn wo keine Religionsfreiheit herrsche, gebe es generell keine Freiheit. Das müssten gerade die Angehörigen christlicher Minderheiten in vielen Ländern erleben. Deshalb sei es wichtig, dass Christen in Deutschland ihre Freiheit dazu nutzten, ihre Überzeugungen in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Der säkulare Staat werde ihnen diese Aufgabe nicht abnehmen, da er weltanschaulich neutral sei.

Landesbischof July: Pietisten sind ein Lungenflügel der Landeskirche

Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July (Stuttgart), lobte die Pietisten für die wichtige Rolle, die sie innerhalb der württembergischen Landeskirche einnähmen. Der Pietismus sei schon immer einer der beiden „Lungenflügel“ gewesen, mit denen die Landeskirche atme. Er sei dankbar, dass die „Apis“ ihrer Kirche auch weiterhin die Treue hielten, obwohl sie nicht immer mit allem einverstanden seien, was diese beschließe. Hintergrund seiner Äußerung ist unter anderem die Entscheidung der Landessynode vom März 2019, gleichgeschlechtliche Partner zukünftig im Gottesdienst zu segnen. Von Seiten des theologisch konservativen synodalen Gesprächskreises „Lebendige Gemeinde“ hatte es Kritik an diesem Beschluss gegeben. Bevor die Veranstalter das Treffen in die Jusihalle verlegt hatten, war der 65-jährige July bereits auf die Bergspitze gestiegen. Er habe sich schon darauf gefreut, Gott auf der Spitze des Jusi anbeten zu können, sagte der verhinderte „Bergprediger“. Die Treffen auf dem Jusi verbinde er mit drei Aspekten: der Orientierung an Jesus Christus, Weitblick und innerer Bewegung. Wie der Berggipfel des Jusi Orientierung biete, so sollten auch die Christen sich an ihrem Namensgeber orientieren und sich dazu bewegen lassen, in seinem Sinne zu handeln. Die „Apis“ täten dies in vielfältiger Weise. Sie kümmerten sich beispielsweise um Menschen im Rotlichtmilieu und böten in ihrem Stuttgarter „Hoffnungshaus“ Prostituierten einen „Raum der Hoffnung“.

Steffen Kern: Pietisten sind die Pioniere der „Kirche im Grünen“

Der Vorsitzende der „Apis“, Steffen Kern (Walddorfhäslach bei Reutlingen), sagte, das erste Jusi-Treffen vor 100 Jahren sei eine typische „Pioniertat“ der Pietisten gewesen. Im Jahr 1919 galt es Kern zufolge noch als ungewöhnlich, Gottesdienste im Freien zu feiern. Doch die Pietisten Württembergs hätten hier eine Vorreiterrolle übernommen. Heute sei die „Kirche im Grünen“ ein beliebtes Format für viele Kirchen. Sie habe keine Mauern, sondern sei „offen, missionarisch und lebensnah“. Das Jusi-Treffen habe in den 100 Jahren stets einen „Kontrapunkt“ gegen alle Ideologien gesetzt. Jesus Christus und nicht die wechselnden Weltanschauungen hätten für die Teilnehmer stets im Mittelpunkt gestanden.