12.06.2019

„Die Vielfalt unserer Gesellschaft soll sich auch in der Allianz widerspiegeln“

Am 12. Juni wurde Reinhardt Schink in das Amt des Generalsekretärs eingeführt. Welche Ziele verfolgt er? Darüber sprach mit ihm idea-Reporter Karsten Huhn.

idea: Herr Schink, Sie wechseln von der Allianz zur Allianz. Was bringen Sie aus der Versicherungswelt mit, was für die evangelische Welt nützlich ist?

Schink: Sicherlich Berufserfahrung und ein solides wirtschaftliches Wissen in Finanzierung, Marketing und Strategie – das sind alles Themen, die auch für die Evangelische Allianz relevant sind. Eine Gemeinsamkeit, die vielleicht etwas überraschend ist: Auch der Allianz-Konzern ist ein Unternehmen mit vielen Tochtergesellschaften und dezentralen Leitungsstrukturen. Die Parallelität von kleineren selbstständig agierenden Einheiten und zugleich einer weltweiten Perspektive ist spannend, insbesondere beim Business Development, der Transformation und Kulturveränderung. Vergleichbare Strukturen und Fragen sehe ich auch bei der Evangelischen Allianz.

idea: Welche Kultur hat die Evangelische Allianz?

Schink: Eine christuszentrierte Kultur, also das Bemühen, evangeliumsgemäß zu leben und zu lehren. Dazu gehören Eindeutigkeit und Klarheit ebenso wie Vielfältigkeit und Gemeinschaft.

idea: Braucht die Evangelische Allianz Veränderungsmanagement, oder kann alles so bleiben, wie es ist?

Schink: Beim Thema Veränderung habe ich ein Flugzeug-Cockpit vor Augen: Von außen betrachtet, fliegt das Flugzeug nur seinen Kurs, schnurstracks geradeaus. Aber um in dieser Geradlinigkeit das Ziel zu erreichen, bewegt sich der Steuerknüppel ständig hin und her. Die Frage lautet also nicht: Bleibt alles, wie es ist, oder verändert man sich? In der Realität braucht es immer wieder Nachjustierungen, um auf Kurs zu bleiben. Für die Evangelische Allianz ist mit den fünf Grundaufträgen der Kurs klar vorgezeichnet: Wir sind eine Gebets- und eine Bibelbewegung, wir stehen für Evangelisation, kommen unserer gesellschaftlichen Verantwortung nach und leben in geistlicher Einheit.

idea: Würden Sie einen sechsten Punkt hinzufügen?

Schink: Nein, diese Aufträge sind nach wie vor gültig, weil sie eine Berufung Gottes sind. In welcher Form sie sich dann in der jeweiligen Zeit ausgestalten, mag sich ändern. Wir sind aber beständig herausgefordert, diese Berufung zu schärfen. Dazu gehört auch, uns wieder an in Vergessenheit Geratenes zu erinnern. Beispielsweise die Vereinbarung aus der Gründungszeit: Wir reden als Geschwister nicht schlecht übereinander.

idea: Wo wollen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit setzen?

Schink: Die Berufung der Evangelischen Allianz weiter zu schärfen. Wir sollten dazu vor allem hören, was Gott auf dem Herzen liegt. Das ist keine individualistische Übung. Daher planen wir für den Herbst ein Zukunftsforum in Hannover, wo wir gemeinsam mit vielen Leitungspersönlichkeiten aus verschiedenen Generationen über die Aufgaben der Allianz nachdenken werden.

idea: Warum haben Sie nicht die Allianz-Zentrale in Bad Blankenburg als Tagungsort gewählt?

Schink: Bad Blankenburg wäre klasse, aber leider haben wir dort nicht die Räume, um mit 500 Teilnehmern intensiv in interaktiven Formaten zu arbeiten.

idea: Bad Blankenburg ist weit ab vom Schuss …

Schink: … Einspruch, Euer Ehren! 1. Bad Blankenburg liegt mitten in Deutschland. 2. Man erreicht es gut auf der Schnellstrecke Berlin-München, mit Halt in Erfurt. Das erlebe ich gerade selbst beim Pendeln. 3. Bad Blankenburg ist inzwischen im Zentrum eines Autobahnrings, der von jeder Richtung aus gut erreichbar ist. Die Wahrnehmung von Bad Blankenburg als abgelegenen Ort kommt noch aus der Zeit, als die Verkehrsverbindungen in die neuen Bundesländer nicht so günstig waren. Vermutlich müssen besonders wir Wessis lernen: Die Stadt ist leichter zu erreichen, als viele vermuten.

idea: Was ist das Besondere an der Evangelischen Allianz?

Schink: Gott hat mit ihr eine riesengroße Segensgeschichte geschrieben. Wer Bad Blankenburg besucht, spürt etwas davon. Die Evangelische Allianz hat Menschen unterschiedlicher Frömmigkeitsstile zusammengeführt, indem sie sich nicht durch Abgrenzungen definierte, sondern vom Zentrum des Glaubens her, also einer gelebten Christus-Beziehung. Im gemeinsamen Bekenntnis „Jesus allein genügt“ wird die Schönheit des Glaubens und die Wahrheit der Worte Jesu konkret erfahrbar.

idea: Sie sind Mitglied der evangelischen Kirche. Wie sind Sie Christ geworden?

Schink: Ich komme ursprünglich aus dem Schwäbischen. Meine Eltern gehörten der evangelischen Kirche an. Ein Freund hat mich mit zur Jungschar geschleppt. Dort bin ich zum lebendigen Glauben gekommen. Ich war fasziniert von der Gemeinschaft dort und ich erkannte, dass Glauben mehr ist als das Fürwahrhalten von frommen Sätzen, sondern eine Liebesbeziehung zu einem lebendigen Gott. Das hat konkrete Auswirkungen in meinem Leben. Meinen Zivildienst absolvierte ich beim CVJM in München, v. a. an der Rezeption des Jugendgästehauses mitten im Stadtzentrum. Dort lernte ich u. a. den hohen Wert der Gastfreundschaft. Vom CVJM in München später auch in Esslingen, habe ich viele wertvolle geistliche Impulse erhalten. Sie sind meiner Frau und mir zur geistlichen Heimat geworden.

idea: Auch während des Studiums und Ihrer Tätigkeit als Allianz-Manager waren Sie ehrenamtlich beim CVJM tätig.

Schink: Ja, wir haben z. B. eine Jugendgruppe gegründet, die einmal im Jahr ein Musical selber schrieb und aufführte. In den Hochzeiten hatte diese Gruppe bis zu 80 Mitglieder. Später sind meine Frau und ich auch in die Kleingruppenarbeit zur Schulung und Betreuung von ehrenamtlichen Mitarbeitern sowie in die Ehe- und Familienarbeit eingestiegen.

idea: Bei der Allianz-Versicherung waren Sie zuständig für Innovationen. Welche Innovationen planen Sie für die Evangelische Allianz?

Schink: Ich plane keine Innovationen, sondern wir werden Impulse von Gott aufgreifen. Beim Zukunftsforum und in den geplanten Regionalkonferenzen in 2020/21 soll nicht ein großer Häuptling vorne stehen, der sagt, wo es langgeht, sondern am bestehenden Netzwerk weiter geknüpft werden. Ein paar Ideen und Fragen habe ich natürlich auch, zum Beispiel: Was bedeutet die Digitalisierung für uns als geistliches Netzwerk? Welche Zeitgeistströmungen beeinflussen uns? Wie können wir ein glaubhaftes Zeugnis in unserer Gesellschaft sein? Daneben gibt es einige offensichtliche Themen: Wie können wir es fördern und unterstützen, dass in einer sich mehr und mehr säkularisierenden Welt signifikant mehr Menschen zum Glauben finden? Wie erreichen wir alle gesellschaftlichen Milieus und Menschen mit anderer Religionszugehörigkeit? Wie kann die Gemeinde heute warm nach innen und missionarisch nach außen sein? Innovative Antworten auf diese Herausforderungen werden wir finden, wenn wir eine Kultur glaubensvoller Experimentierfreudigkeit fördern und eine leidenschaftliche Liebe zu Jesus Christus leben.

idea: Werden wir Sie demnächst mit blauen Haaren auf YouTube sehen?

Schink: Mit blauen Haaren sicherlich nicht. Und ob YouTube für mich der richtige Kanal ist, ist fraglich. Andere der Evangelischen Allianz verbundene Werke nutzen YouTube bereits viel stärker. Mein Vorgänger Hartmut Steeb ist auf Facebook sehr aktiv, ich selbst bin in den Sozialen Medien bislang kaum unterwegs. Als Evangelische Allianz werden wir uns aber zusammensetzen und überlegen, wie wir dieses weite Feld am effektivsten bespielen. Hier muss nicht jeder alles gleichzeitig machen. Kritisch sehe ich den rauen Umgangston in den Sozialen Medien. Evangelikale Christen sollten hier einen deutlichen Kontrapunkt setzen und auch in der Onlinewelt christusgemäß leben, andere Ansichten nicht abwerten und Menschen verunglimpfen, sondern eine Kultur des Zuhörens und des Ringens um Wahrheit pflegen – nicht aus einer Haltung der Besserwisserei heraus, sondern aus Wertschätzung.

idea: Eine Baustelle der Evangelischen Allianz ist der Altersdurchschnitt: Bei der Allianzgebetswoche sind die älteren Teilnehmer in der Mehrzahl.

Schink: Ich war vor kurzem beim GemeindeFerienFestival SPRING in Willingen mit sehr vielen Familien, Kindern und Jugendlichen – auch das ist eine Allianz-Veranstaltung. Ich fand dort das Miteinander der Generationen faszinierend. Auf diesen Erfahrungen lässt sich aufbauen. Ich wünsche mir, dass in der Allianz auch jüngere Menschen Verantwortung übernehmen. Dazu gehört auch die Öffnung zu neuen gesellschaftlichen Gruppen und Stilen. Die Vielfalt unserer Gesellschaft soll sich auch in der Allianz widerspiegeln.

idea: Junge Leute fahren heute eher zu einer hippen ICF-Konferenz nach Zürich als zur Allianzkonferenz ins beschauliche Bad Blankenburg.

Schink: Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Ihre Fragestellung offenbart ein Verhaftetsein in alten Denkmustern. Sie fragten nach Institutionen. Die Wahrnehmung der Jugendlichen ist anders. Sie fragen sich: Wo erlebe ich einen authentisch gelebten Glauben? Wo kann ich im Glauben wachsen und höre fundiert von Gott? Wo kann ich mich mit allen Aspekten meiner Persönlichkeit engagieren? Welches Schild an der Tür klebt, ist für sie zweitrangig. Vielleicht ist es ein Weckruf von Gott an die Christenheit in Deutschland: Schaut nach den Inhalten und definiert die Ökumene nach der Herzensbegegnung mit Gott und nicht nach Strukturen. Oder noch radikaler formuliert: Lasst euch rufen, gemeinsam Reich Gottes zu bauen, und baut nicht nur eure eigenen kleinen Fürstentümer! Was wir bisher ebenfalls sträflich ausgeblendet haben, sind die Migrantengemeinden. Nehmen wir den Schatz wahr, den Gott uns mit ihnen schenkt? Ein erster Schritt in diese Richtung: Bei der nächsten proChrist-Evangelisation werden mit Mihamm Kim-Rauchholz und Yassir Eric erstmals die beiden Hauptredner Menschen mit Migrationshintergrund sein.

idea: Zu welchen politischen Themen wird sich die Evangelische Allianz künftig äußern?

Schink: Unsere Verantwortung gilt Jesus Christus gegenüber, und wir werden uns zu den für das Evangelium relevanten Fragen äußern. Wir wollen mit allen demokratisch gesinnten Parteien im Gespräch sein. Daher kann ich mir auch vorstellen, in politischen Fragen mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, die der Stadt Bestes suchen. Wir werden uns aber definitiv nicht vor den Karren einer politischen Richtung spannen lassen. Leider gibt es häufig Zuschreibungen von außen, die Allianz sei politisch zu weit rechts oder ewiggestrig.

idea: Was entgegnen Sie auf diese Vorwürfe?

Schink: Ich empfehle, keine Vorurteile zu pflegen, sondern genauer hinzuschauen. Der Vorwurf, die Allianz sei rechtsaußen, erübrigt sich, wenn man sich unsere Position zu Migration und Integration anschaut. Und zum Vorwurf verknöchert und altbacken zu sein: Ich bin überzeugt, dass nichts mehr Veränderungskraft hat als die Auferstehungshoffnung, die in uns lebt.

idea: Kritiker der Evangelischen Allianz fürchten, dass diese „noch viel ökumenischer und politischer wird“.

Schink: Ich wünsche mir, dass wir Christen im digitalen Zeitalter nicht als „Pharisäer 4.0“ enden. Schon zu Jesu Zeiten gab es Menschen, die so in ihrer engen Weltsicht gefangen waren, dass sie – trotz guten Willens – die Impulse des Heiligen Geistes nicht mehr wahrnehmen konnten. Sicher birgt der Ruf nach mehr Ökumene auch Risiken. Auf solche Gefährdungen sollen wir uns gegenseitig liebevoll hinweisen. Es wäre aber fatal, wenn wir hierüber den Herzenswunsch Jesu nach Einheit ignorieren würden: „dass sie alle eins sein!“ (Johannes 17,21).

idea: In der Evangelischen Allianz tobte in den letzten Jahren eine Kontroverse um die Mitarbeit homosexueller Christen. Sind in dem Streit alle Scherben zusammengekehrt, oder sind noch Aufräumarbeiten nötig?

Schink: Die Diskussion um Segnung, Trauung oder Mitarbeit gibt es derzeit in fast allen Kirchen. Und sie wird häufig mit harten Bandagen geführt. In diesem Ringen um den richtigen Weg hoffe ich, dass es uns gelingt, aus der Vergebung zu leben. Denn wo hart gerungen wird, fallen häufig auch Worte, die einem hinterher leidtun. Lassen wir nicht zu, dass eine bittere Wurzel unter uns aufwächst (vgl. Hebräer 15,12). Ich halte das Wort vom Apostel Paulus für sehr wichtig: „Ertragt einander in Liebe!“ (Epheser 4,20). Einheit bedeutet harte Arbeit: Wir müssen die Meinung des anderen aushalten, auch wenn wir sie nicht teilen, und auf der Beziehungsebene dennoch miteinander verbunden bleiben.

idea: Welche Meinung haben Sie selbst in dem Konflikt?

Schink: Wir tun gut daran, wenn wir uns am Wort Gottes orientieren und gleichzeitig die Menschen im Blick haben …

idea: … das nehmen alle Seiten für sich in Anspruch – aber was heißt das konkret?

Schink: Die Eckpunkte hat die Evangelische Allianz mit ihren Leitlinien gesetzt: 1. Menschen sind nach biblischem Zeugnis im Bild Gottes als Mann und Frau geschaffen. 2. Die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis ist mit dem Willen Gottes und damit dem biblischen Ethos unvereinbar. 3. Das Evangelium von Jesus Christus schenkt die vorbehaltlose Annahme aller Menschen. Diese drei Erkenntnisse gilt es, im Alltag bestmöglich zu leben. Dabei gilt: Wahrhaftige Liebe ist die Wahrheit in der Liebe und gleichzeitig Liebe in der Wahrheit. Beides kann nicht ausein­andergerissen werden.

idea: Was bedeutet das konkret?

Schink: Mutiger von den guten Ordnungen Gottes reden, die ein gelingendes Leben ermöglichen! Dazu gehört insbesondere die Ehe zwischen Mann und Frau sowie die Familie als Kernstück unserer Gesellschaft. Gleichzeitig kann nicht die Evangelische Allianz entscheiden, wie im Gemeindealltag mit einer konkreten Situation am besten umgegangen wird. Die Evangelische Allianz als Bund von Brüdern und Schwestern hat dafür kein Mandat. Wir sind keine Kirchenleitung und greifen auch nicht in deren geistliche Autorität ein. In den hitzigen Diskussionen wird aber leider eine wesentliche Frage übersehen: Wird es Christen auch künftig noch erlaubt sein, Wahrheit zu vertreten und Sünde beim Namen zu nennen?

idea: Woran denken Sie?

Schink: Dass jemand „Sünder“ sein könnte, wird als Diskriminierung angesehen. Der Gedanke, dass eine universell gültige Wahrheit als Bezugspunkt zur Unterscheidung von „richtig“ und „falsch“ existiert, wird als Affront empfunden. Unter dem Deckmantel der Antidiskriminierung gibt es daher Bestrebungen, „Sünde“ aus dem Wortschatz zu streichen. Einzelne Stimmen haben beispielsweise mit dem geplanten Verbot von Konversionstherapien in diese Richtung argumentiert. Dahinter steckt der Vorwurf, Konversionstherapien würden Homosexuelle diskriminieren. Sie würden ihnen ein schlechtes Gewissen machen und dürften daher kein Thema mehr sein. Konsequent weiter gedacht könnte dieses Verbot dann nicht nur für öffentliche Äußerungen gelten, sondern auch für das seelsorgerliche Gespräch und die Beichte.

idea: Ist diese Debatte Ihr Herzensthema?

Schink: Nein, nicht wirklich. Wichtig finde ich die fünf Grundaufträge der Evangelischen Allianz und die Themen, in denen sie sich seit vielen Jahren engagiert, u. a. der Lebensschutz in allen Phasen des Lebens, Migration und Integration, aber natürlich auch Mission und Evangelisation. In diesen weiten Themenfeldern ist ein Herzensanliegen von mir die Bitte aus dem Vater­unser „Geheiligt werde dein Name“, also dass der Name Gottes in unserer Gesellschaft wieder einen guten Klang erhält. Gott muss oft als Schuttabladeplatz für Schuldzuweisungen aller Art herhalten. Ich wünsche mir, dass Christen nicht vorschnell ihre Knie vor dem Zeitgeist beugen, sondern durch ihre Ewigkeitshoffnung Gott authentisch und begeisternd bezeugen.

idea: Vielen Dank für das Gespräch!