01.05.2001

"Mit mir hat die Ministerin nicht gesprochen": Brisantes Zeit-Interview mit der gefeuerten Abteilungsministerin Ulrike Riedel

Im folgenden dokumentieren wir - gekürzt - ein hochinteressantes Interview, dass die Wochen-zeitung "DIE ZEIT" (Ausgabe vom 27.04) mit der ehemaligen Abteilungsleiterin im Bundesgesund-heitsministerium Ulrike Riedel (Bündnis 90/Die Grünen) führte:

ZEIT: Sie wurden als für Gentechnik zuständige bündnisgrüne Abteilungsleiterin im Bundes-gesundheitsministerium entlassen, Ihr Entwurf eines Fortpflanzungsmedizingesetzes eingestampft. Ärgert es Sie eigentlich nicht, das die neue SPD-Ministerin Ulla Schmidt nun einen ausführlichen Dialog über das Fortpflanzungsmedizingesetz einfordert, den Sie und die Exministerin Andrea Fischer schon seit einem Jahr öffentlich geführt haben?

ULRIKE RIEDEL: Ich freue mich, dass der Koalitionspartner SPD endlich unser Konzept übernommen hat. Das von uns im Mai vergangenen Jahres mit großer öffentlicher Beachtung veranstaltete Symposium zur Fortpflanzungsmedizin diente ja als Auftakt einer öffentlichen Debatte - die Dokumentation des Symposiums ist soeben als Buch erschienen. Wir haben von Anfang an eine partei- und fraktionsübergreifende Debatte zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz gefordert, allen Fraktionen lag unser Eckpunktepapier als Diskussionsgrundlage vor. Aufgewacht sind SPD und auch die CDU aber erst, als in Großbritannien die Debatte über das therapeutische Klonen in ihre Endphase kam und Tony Blair verkündete, sein Land wolle in Europa die Nummer eins in der biomedizinischen Forschung werden. Da erst kam das Signal des Kanzlers, die Biopolitik zur Chefsache zu machen.

ZEIT: Die Grünen erschienen vielen als Bremser, ihr Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz verbietet vieles, worüber die Gesellschaft doch erst noch diskutieren sollte.

RIEDEL: Der Gesetzentwurf enthielt viel mehr als nur Verbote. Es gibt ja auch dringenden Regelungsbedarf jenseits der umstrittenen Themen der Präimplantationsdiagnostik (PID) und des therapeutischen Klonens, über das jetzt alle reden. Nur einige Beispiele: die Sicherstellung des Kindeswohls und die kniffligen familien-rechtlichen Fragen, zum Beispiel hinsichtlich der Samenspende. Hier ist nichts geregelt, es wird zunehmend Prozesse geben. Die Konservierung von überzähligen Keimzellen und Embryonen bei künstlicher Befruchtung ist ungeregelt; der Klonbegriff im Embryonenschutzgesetz muss neu gefasst werden, da das Klonen nach der Dolly-Methode von der gesetzlichen Definition nicht erfasst wird. Der dringende Gesetzgebungsbedarf war zu Anfang der Legislaturperiode Konsens in der Koalition. Damals hatte die SPD-Fraktion abgelehnt, eine Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin einzusetzen, und zwar mit dem Argument, deren Entscheidungsprozess sei angesichts des dringenden Gesetzgebungsbedarfs zu langfristig angelegt. Als es dann einen Tag nach dem Ministerinnenwechsel plötzlich hieß, es gebe keinen Gesetzgebungsbedarf, haben sich viele die Augen gerieben.

ZEIT: Hätten Sie sich vorstellen können, dass am Ende der parlamentarischen Beratung die PID zugelassen wird?

RIEDEL: Natürlich, das muss der Bundestag entscheiden. Wir hatten uns ein Verfahren wie beim Organtransplantationsgesetz vorgestellt. Da ist über die Frage des Hirntodes nach intensiver Debatte über zwei alternative Anträge frak-tionsübergreifend abgestimmt worden.

ZEIT: Wenn es keine gravierenden Differenzen gab, warum mussten Sie dann gehen?

RIEDEL: Mit mir hat die Ministerin darüber nicht gesprochen. Da wir aber keinen Regierungswechsel hatten, ist der Austausch einer grünen Abtei-lungsleiterin gegen ein FDP-Mitglied schon bemerkenswert. Offenbar wollte die SPD mit dem Wechsel vor allem ein Signal für eine biopolitische Wende setzen. Personelle Maßnahmen eignen sich dafür ja insbesondere, wenn man in der Sache selbst nichts ändern kann oder will.

ZEIT: Was ist daran falsch zu fordern, Embryonen unter strengster Kontrolle wie in Großbritannien für hochrangige Forschungsziele einzusetzen?

RIEDEL: Wir haben ein vollkommen anderes Verfassungsrechtssystem als Großbritannien. Menschliches Leben, auch das Ungeborene, genießt von Anfang den Schutz der Menschenwürde. Der Schutz der Menschenwürde ist absolut und keiner Abwägung mit anderen Rechtsgütern zugänglich. Wie können wir in dieser Situation zu einem abgestuften Schutzkonzept wie in Großbritannien kommen mit der Folge, dass wir einen Embryo für andere, wenngleich hochrangige Zwecke vernichten dürfen? Das ist schwierig zu rechtfertigen und setzt voraus, den verfassungsrechtlichen Status des Embryos einzuschränken. Zu welchen Entscheidungen der Bundestag hier auch immer kommen mag, das letzte Wort wird das Bundesverfassungsgericht haben.

ZEIT: Was halten Sie von der dem Abtreibungs-konflikt entlehnten Konstruktion "rechtswidrig, aber straffrei"?

RIEDEL: Die ist rechtlich und ethisch nicht auf die PID übertragbar. Der Wunsch eines Paares nach einem gesunden und genetisch eigenen Kind ist keine Notlage, die vergleichbar ist mit der Situation einer Frau, die ihre konkrete Schwangerschaft als unzumutbare Belastung empfindet. Vor allem, weil die Gefahr einer Erbkrankheit durch eine Samenspende oder eine Adoption abgewendet werden kann. Einem Vater den Verzicht auf seine biologische Vaterschaft zuzumuten begründet für mich keine Notlage, die es rechtfertigt, gezielt Embryonen herzustellen, zu selektieren und bei Vorliegen genetischer Defekte zu verwerfen.

ZEIT: Nun gibt es aber Fälle, wo erblich vorbe-lastete Eltern bereits Kinder mit genetischer Behinderung großziehen oder wiederholt Schwanger-schaften nach positiven Gentests abgetrieben haben. Sie wissen, dass sie wieder abtreiben würden. Was ist daran verwerflich, wenn diese Paare sich Hilfe durch PID erhoffen?

RIEDEL: Diese Fälle - von denen es maximal 50 pro Jahr geben dürfte - wären sicher am ehesten als Notlage anzusehen. Aber wer glaubt denn, dass man die Zulassung der PID begrenzen kann auf Paare, die bereits ein oder zwei kranke Kinder haben? Das werden diejenigen, die ihre erbliche Belastung bereits vor der Zeugung eines Kindes erkannt haben, nicht akzeptieren. Die PID auf wenige eng definierte Einzelfälle zu begrenzen ist schlicht unmöglich. Das ist mein Haupteinwand. Ist die Tür für die PID einmal geöffnet, werden die Ansprüche kommen, die PID als Qualitätssicherungsmaßnahme bei jeder In-vitro-Fertilisation anzuwenden, wenn so die Erfolgsquote der künstlichen Befruchtung erhöht werden kann.

ZEIT: Im ursprünglichen Entwurf der Bundesärzte-kammer war die Unfruchtbarkeit eine Indikation für die PID, das ist dann verschwunden.

RIEDEL: Sobald die PID erlaubt ist, kommt die Ausweitungsdebatte. Bedenken Sie zudem: Es gibt so viel Leid in der Gesellschaft, seltene Krankheiten, an deren Heilungsmöglichkeiten nicht geforscht wird, weil es sich finanziell nicht lohnt. Dass der Gesetzgeber auch deswegen zu der Ansicht kommen kann, einigen wenigen Paaren den Verzicht auf ihr Wunschkind zuzumuten, ist doch legitim. Ich fürchte, in der PID-Debatte dienen traurige Einzelschicksale als Türöffner zum Einstieg in die Embryonenforschung. Darauf deutet auch das große Engagement der Politik an der Zulassung der PID hin, so zum Beispiel auch das der für die PID völlig unzuständigen Forschungs-ministerin Bulmahn.

ZEIT: Jetzt wo die ministerielle Verantwortung in Sachen Gentechnik weg ist, können die Grünen ja endlich wieder richtig Opposition in der Regierung machen.

RIEDEL: Alle Politiker sind sich doch einig, dass die ethischen Fragen nicht per Fraktionszwang entschieden werden können, das Muster Regierung und Opposition gilt hier nicht. Es wird also darauf ankommen, mit welchem Interesse die Grünen das Thema im Bundestag inhaltlich weiterbe-treiben. Eigentlich bräuchten wir einen Abge-ordneten, der nichts anderes als dieses Thema bearbeitet und das leidenschaftlich und kompetent bis in alle Einzelheiten. Gentechnikpolitik in der Verantwortung hieß das letzte Fraktionspapier der Grünen vom vergangenen Jahr, an dem ich noch intensiv mitgearbeitet habe und das immer noch der Verabschiedung in der Fraktion harrt.

ZEIT: Klingt schön, wo doch die grüne Verant-wortung jetzt weg ist. Renate Künast dagegen steigt in der Beliebheitsskala in für Bündnis-grüne ungeahnte Höhen. Schmerzt es Sie als grüne Expertin im Bereich Gentechnologie, dass Ihr Thema jetzt passe ist?

RIEDEL: Eines dürfte richtig sein: Den Bekanntheitsgrad und die Popularität hätte man mit dem Thema Biotechnologie nie bekommen können. Verbraucherschutz und Ernährung gehen unmittelbar jeden an. Da kann man leichter Profil gewinnen. Und: Wer will schon BSE - da sind doch alle dagegen! So gesehen, haben die Grünen nichts falsch gemacht, als sie beim Ministerwechsel die Kompetenz für Gentechnik und Biomedizin der SPD überlassen haben. Biotechnologie ist für viele Menschen einfach zu abstrakt und im täglichen Leben noch nicht relevant.

ZEIT: Aber die Gentechnik hält gerade jetzt Einzug in den Alltag: Speicheltests bei der Fahndung, heimliche Gentest zum Nachweis der Vaterschaft, genetische Reihenuntersuchungen bei Krankenversicherten und so weiter. Kommen die großen Debatten nicht erst?

RIEDEL: Richtig, dieses Bewusstsein fehlt derzeit wohl noch bei den meisten Grünen, oder es hat den Weg von der intellektuellen Einsicht zum politischen Engagement noch nicht geschafft. Der Kanzler ist einer der wenigen, die frühzeitig begriffen haben, dass die Biotechnologie eines der wichtigsten Zukunftsthemen ist und dass sich da eine rasante Dynamik entfaltet. (...)

ZEIT: Der Ökolandbau wird eine Nische bleiben. Kann es sein, dass die Grünen an der Macht kleben und den Preis dafür gern zahlen, nämlich möglichst ohne klare Positionen zum Beispiel in Bezug auf Gentechnik zu agieren?

RIEDEL: (...) Das heutige Dilemma der Grünen ist, dass sie es als Regierungspartei mit ihrer Orientierung an grundlegenden Werten schwer haben, sich gegenüber wirtschaftlichen Interessen zu behaupten. Aber vielleicht ist ja die Wertebasis der Grünen inzwischen selbst ein Mythos. In der Biopolitik geht es um unglaubliche wirtschaftliche Erwartungen. Das gilt auch für Forscher, die ja heute über Patente und Firmenbeteiligungen ein unmittelbares kommerzielles Interesse mit ihrer Forschungs-tätigkeit verbinden. Bei der öffentlichen Debatte um die Biomedizin wird die Dynamik von den Botschaften bestimmt, da wird die Heilung von Alzheimer und anderen schrecklichen Krankheiten versprochen, obwohl völlig offen ist, was sich da jemals realisieren lässt. In der politischen Debatte wird es so extrem schwer, sich etwa für die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens stark zu machen, zumal auch die Grünen sich schnell zurücknehmen, wenn es um die deutsche Wirtschaft geht. Aber genau hier läge für mich eine wichtige Aufgabe.

ZEIT: Davon aber ist derzeit wenig zu spüren. Es scheint eher, als seien die Grünen froh, das komplexe Thema Gentechnik los zu sein.

RIEDEL: Ja, aber das geht völlig gegen die Gründungsidee, den Fortschrittsmythos zu hinterfragen. Was ist überhaupt Fortschritt? Wohin führt die Dynamik der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung? (...)

(mehr dazu: www.zeit.de)