23.04.2001

K o m m e n t a r: Wie glaubwürdig haben wir "Du sollst nicht töten" gepredigt?

Die Reaktionen auf Sterbehilfegesetz zeigen überdeutlich, wie verweltlicht wir sind

K o m m e n t a r: Wie glaubwürdig haben wir "Du sollst nicht töten" gepredigt?

Die Reaktionen auf Sterbehilfegesetz zeigen überdeutlich, wie verweltlicht wir sind

Wolfgang Polzer: Das Sterbehilfegesetz der Niederlande läßt nicht nur in ethischer Hinsicht die Dämme brechen. Die Reaktionen machen auch deutlich, wie weit wir uns vom christlichen Glauben entfernt haben, auf dem unsere Werteordnung fußt. Selten zuvor lagen in Deutschland die Stellungnahmen führender Kirchenrepräsentanten so weit entfernt von den Einstellungen des Volkes, auch des Kirchenvolkes. Während die Kirchenleiter unisono die Erlaubnis verurteilen, Todkranke ”einschläfern” zu dürfen, sprechen die Umfrageergebnisse eine andere Sprache. Laut ”Emnid” befürworten 78 Prozent der Deutschen Euthanasie. Daß nur vier Prozent der Konfessionslosen den Tod auf Verlangen ablehnen, mag wenig verwundern. Umso erschreckender ist, daß nur 14 Prozent der Protestanten und 18 Prozent der Katholiken sagen: ”Über Leben und Tod darf nur Gott entscheiden. Das Leben ist heilig und muß es auch bleiben.”

Die (Volks)Kirchen und alle Christen müßten angesichts dieser Ergebnisse in Sack und Asche gehen, offenbaren sie doch, wie wenig es gelungen ist, das bekannteste Gebot - ”Du sollst nicht töten” - glaubwürdig zu verkünden. Für die meisten Bürger - auch für Kirchenmitglieder - hat es in den Grenzbereichen des Lebens anscheinend nur noch eingeschränkt Geltung. Klar wie nie zuvor tritt damit die Verweltlichung in- und außerhalb der Kirchen zutage.

Wie werden die Kirchenmitglieder informiert?
Warum ist das so? Erstens: Zu lange hat man sich besonders in der evangelischen Kirche damit zufrieden gegeben, daß ihr Jahr für Jahr hunderttausende Mitglieder Adé sagen und daß kaum fünf Prozent zum Gottesdienst gehen. Woher aber sollen sie das Evangelium kennen, wenn sie es nicht hören? Zweitens: Hehre Erklärungen, daß Gott ”ein Freund des Lebens” ist, wirken matt, wenn kirchliche Beratungsstellen gleichzeitig Scheine ausstellen, die zur straffreien Tötung von Kindern im Mutterleib berechtigen. Heute bewahrheitet sich, was Lebensschützer schon vor Jahrzehnten warnend, aber ungehört verkündet haben: Wer Abtreibung duldet, gefährdet schließlich auch das Leben siecher Menschen. Irgendwann fallen auch in Deutschland und in der Schweiz die moralischen Schranken vor der Euthanasie. Denn bis zu welcher Wahl wird es noch dauern, bis die Politiker dem Wunsch der übergroßen Mehrheit nachgeben, zumal die Gesundheitskosten ständig steigen?
Die Christen müssen jetzt predigen und handeln: Predigen, daß Gott der Herr des Lebens ist - für jeden und in jeder Phase. Handeln, indem wir Kinder zur Welt bringen, auch wenn sie überraschend kommen und als Belastung erscheinen. Wir müssen der Versuchung wehren, durch Gentechnik den ”besseren Menschen” zu schaffen. Wir müssen Alte und Kranke pflegen, so lange es geht. Wir müssen zeigen, daß Gott ohne Einschränkung ein Freund des Lebens ist. (idea)